37 grad mein kind nimmt drogen

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„37 Grad: Mein Kind im Vollrausch“: Saufen, bis der Arzt kommt

Gestern noch an der Milch-, heute schon an der Wodkaflasche hängend: Komatrinken bei Jugendlichen kommt in den besten Familien vor, beweist eine ZDF-Reportage.

Es sind die visuellen Gegensätze, die den Irrsinn so deutlich machen. Die Kinderstation im Klinikum Schwabing mit bunten Malereien an den Fenstern – und das sturzbetrunkene Mädchen, das zwischen „Fuck“-Gestöhne und lautem Weinen nach der Mama ruft. Die 12-jährige Joanna, die sich in ihr rosarotes Kuscheltier drückt und davon erzählt, wie sie sich mit Apfelkorn auf 1,4 Promille und in den Zusammenbruch getrunken hat. Die leeren Wodkaflaschen, die Kati, 15, in die Vitrine ihres Kinderzimmers gestellt hat – Erinnerungen an flüssige Großtaten, Trophäen einer minderjährigen Trinkerin.

Der letzte Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung hat in Zahlen gefasst, was nachts in U-Bahnen, in Diskotheken, in Parks und an Stadtstränden längst sichtbar ist: Wenn die Jugend trinkt, kennt sie oft keine Grenzen mehr. Mehr als 23 000 Teenager wurden 2007 mit einer Alkoholvergiftung in eine Klinik eingeliefert. Jeder fünfte Jugendliche zwischen 12 und 17 bringt es auf mindestens einen Rausch pro Monat.

„Möglichst schnell dicht werden“

Ja, die anderen – aber doch nicht unser Kind, denken sich Erika und Max Mustermann da gerne. Dass kein Musterbürger dafür seine Hand ins Feuer legen sollte, zeigt sehr eindringlich die „37 Grad“-Reportage „Mein Kind im Vollrausch“ von Ulrike Baur. Kati und Joanna zum Beispiel: Zwei nette Mädchen aus netten Wohngegenden und mit richtig netten Eltern. Trotzdem vernichtete Kati eines Tages einen Sixpack Bier, 1,5 Flaschen Sekt und eine halbe Flasche Wodka zwischen 7 und 9 Uhr morgens vor der Schule. Das Klassenziel – „möglichst schnell dicht zu werden“ – hat sie erreicht.

Oder Jonas, 16: Ein hübscher Junge aus München, Cellospieler und praktischerweise Sohn einer Ärztin des Schwabinger Klinikums. Die konnte sich den Anruf bei den Eltern sparen, als ihr Junge mit 2,2 Promille auf ihrer Station eingeliefert wurde. „Auf einen schönen Pegel“ wollte er sich nur trinken. Ein Kind im Vollrausch: Davor sollte sich heute niemand mehr gefeit fühlen.

Ein Prosit der Nüchternheit

Dicht an den Kindern ist die Reportage, sie stellt Saufgelage nach und versucht, die Beweggründe der jungen Schnapsvernichter zu ergründen. Die Motive sind erschreckend schlicht: Dabei sein ist alles, Alkohol macht lustig und wird getrunken, weil er „halt da war“. Und um zu beweisen, dass man und Mädchen etwas vertragen.

Doch bei der Antwort auf die Frage, wie man derlei Abstürze verhindern könnte, muss die Reportage passen. Hilflos psychologisieren sich die Eltern durch Erklärungsversuche: zu wenig Zeit fürs Kind? Die Scheidung der Eltern? Der falsche Umgang? Ähnlich hilflos die Reaktionen nach den Exzessen: Hausarrest, Verbot der Clique, Sozialarbeiter mit langen Diagnose-Fragebögen. Ihm würde so etwas nun nicht mehr passieren, behauptet Jonas nach seinem lebensgefährlichen Promillerekord. Prosit, es möge nützen: ein frommer Wunsch. Die Reportage endet damit, dass die Polizei Jonas nachts erneut betrunken in einer Disco aufgreift.

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Erstellt: 18.01.2022Aktualisiert: 19.01.2022, 00:17 Uhr

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Seit ihre Tochter auf der Straße lebt, müssen Janne und Ingo aufpassen, dass sie sich nicht gegenseitig Schuld daran geben. © Silvia Kaiser/ZDF/dpa

Was geht in Eltern vor, die ihre Kinder an die Straße und die Drogen verlieren? In einer TV-Reportage geben Betroffene überraschende Antworten. Doch es bleiben Fragen.

Berlin - Wenn Jugendliche sich von ihrem Elternhaus abwenden und sich für ein Leben auf der Straße entscheiden, muss das doch mit den Eltern zu tun haben.

Dann ist da doch irgendwas schief gelaufen. Das ist ein gängiges Vorurteil, dem sich Betroffene ausgesetzt fühlen können. Wie stehen Eltern selbst zu der Situation? Und wie leben sie mit der Entscheidung ihrer Kinder? Die ZDF-Reportage „Was haben wir nur falsch gemacht? - Eltern von Straßenkindern“ aus der Reihe „37 Grad“ (18. Januar, 22.35 Uhr) greift das auf.

„Es fing eigentlich damit an, dass ich eine Veränderung bei Tim festgestellt hatte“, erzählt Heike von ihrem Sohn in der Reportage. Immer dünner sei er geworden und habe extreme Stimmungsschwankungen gehabt, sagt sie. Anfangs schob die Mutter die schleichende Veränderung ihres damals 15-jährigen Sohnes auf die Pubertät. Irgendwann gestand Tim seine Heroinsucht. Heike und Ehemann Raico aus dem baden-württembergischen Ort Schwaikheim fielen aus allen Wolken. Drogen in der südwestdeutschen Provinz - das war für sie undenkbar. „Alles, was wir über Drogen wussten, war "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"“, sagt die Mutter, die sich mittlerweile für andere Eltern von Straßenkindern engagiert.

Auch Janne und Ingo haben an ihrer Tochter Amelie Veränderungen wahrgenommen. Immer unzuverlässiger sei sie geworden, berichtet die 57-jährige Richterin. Sie und ihr Mann Ingo, ehemaliger Chefarzt im Ruhestand, haben nach eigenen Angaben seit über drei Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter, die mit 15 Jahren das erste Mal ihr Elternhaus verlassen habe, um auf der Straße zu leben. Erst gingen sie nachts noch auf die Suche nach ihrer Tochter - in den Straßen Berlins. „Einerseits ging ich los, um sie zu finden. Andererseits hatte ich auch an den Brennpunkten Angst, sie zu finden“, gibt Vater Ingo zu. Nach dem Tal der Angst, der Verzweiflung und der Hilflosigkeit hat Janne die Situation akzeptiert, so scheint es. Was zunächst abgeklärt wirkt, das ist vor allem eins - realistisch: „Ich lebe jeden Tag damit, dass ich nicht weiß, ob es wieder gut wird. Und ich kann auch nicht davon ausgehen, dass es wieder gut wird, denn es ist jetzt schon über drei Jahre nicht gut geworden, aber man muss trotzdem weiter leben“, sagt die 57-Jährige.

Die Reportage will in knapp 29 Minuten nicht nur davon erzählen, wie Eltern mit dem Verlust ihrer Kinder umgehen, sondern auch, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Der Berliner Streetworker Ron vermutet, dass der Erfolgsdruck eine entscheidende Rolle spielen könnte, den Eltern auf ihre Kinder ausüben. Gesine, eine der drei betroffenen Mütter im Film, sagt, dass sie versucht habe, ihre Tochter Marie „in eine Schablone zu pressen“. „Wir haben sie nicht ernst genommen“, sagt sie rückblickend. Es ginge eben auch darum, Eigenschaften des eigenen Kindes zu akzeptieren, die man vielleicht nicht mag.

Die Reportage will in 29 Minuten viel - vielleicht zu viel. Erklärungen, warum die Kinder keinen anderen Ausweg sehen und weglaufen, um lieber auf der Straße zu leben als im Elternhaus, bleiben aus. Der Zuschauer bekommt aber durch berührende Sätze der betroffenen Eltern tatsächlich eine Ahnung davon, was es heißt, sein Kind zu verlieren. Heike hat ihren Tim zuerst an die Straße verloren, dann an die Drogen. Vor sechs Jahren starb er laut Reportage an einer Überdosis - mit 22 Jahren. „Es ist eine große Sehnsucht da - nach meinem Kind. Es fühlt sich an wie ganz extremer Liebeskummer“, sagt Heike leise. Dieser Schmerz, diese Sehnsucht, endet nie. Auch für betroffene Eltern ist es ein Kampf ums Überleben. dpa

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Flucht aus der Familie Die Elternpaare Janne und Ingo, Heike und Rajco sowie Gesine mit ihrem Mann haben eines gemeinsam. Sie gaben - nach ihrer Einschätzung - ihr Bestes für ihre Kinder und trotzdem sind die von zu Hause weggelaufen, um auf der Straße zu leben, bald abhängig von Drogen.

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Zwei Kinder sind aus dem Haus und studieren. Gäbe es da nicht das dritte Kind Amelie, würde Jannes und Ingos Leben so aussehen, als sei es einer Werbung entsprungen. Doch seit fünf Jahren durchlebt das Paar die Hölle. Sie sind in ständiger Angst um ihre Tochter Amelie, die irgendwo auf der Straße lebt.

Wer produziert 37 Grad?

37 Grad (auch: 37°) ist eine seit dem 1. November 1994 wöchentlich ausgestrahlte Dokumentationssendung des ZDF. Die Sendung verantworten abwechselnd die drei ZDF-Redaktionen „Kirche und Leben katholisch“, „Kirche und Leben evangelisch“ und „Terra X“.

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