Funkstille streit wer ist am zug

Very British: Der neue Eurostar-Zug in London : Bild: Reuters

Nach 21.13 Uhr gibt es von Paris aus keinen Service mehr. In der Nacht passiert neun Stunden gar nichts. Der nächste Eurostar verlässt den Zentralbahnhof Gare du Nord erst wieder am nächsten Morgen um 6.43 Uhr. Zwei Stunden und sechzehn Minuten später fährt er dann in St. Pancras ein, einem der Londoner Hauptbahnhöfe. Abgesehen von einer zusätzlichen Verbindung morgens und abends fährt nur in etwa jede Stunde ein Zug durch den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal von Paris nach London.

Was soll erst im Juli 2012 werden, wenn in der britischen Hauptstadt die Olympischen Spiele stattfinden, die vier Flughäfen Londons im Chaos versinken und viele Kontinentaleuropäer gern mit dem Zug zu den Weltspielen reisen würden? Da werden womöglich Sonderaktionen anstehen. Doch grundsätzlich hat Eurostar, das staatliche Betreiberkonsortium von französischer Bahn SNCF und der britischen LCR, sein Angebot mit den gelben Hochgeschwindigkeitszügen spürbar verringert. Seit 2009 geht es in den überalterten Waggons noch dichter gedrängt zu.

Es könnte anders sein. „Der Tunnel ist nur zu 50 Prozent ausgelastet“, klagt Jacques Gounon, der Chef der Gesellschaft Eurotunnel, immer wieder. Eurotunnel ist im Privatbesitz, börsennotiert, betreibt die 50 Kilometer lange Röhre und würde sich mehr Einnahmen aus mehr Zugverkehr wünschen. Aber Eurostar ist eben nicht privat, sondern steht unter Obhut des französischen Staates. Deshalb ist Eurostar ein politischer Zug.

Der unterlegene Lieferant Alstom wehrt sich mit allen Mitteln

Und genau aus diesem Grund jubelt Siemens längst nicht mehr über den spektakulären Prestigeauftrag für zehn Hochgeschwindigkeitszüge, die eigentlich von 2014 an durch den Eurotunnel zwischen Brüssel, Paris und London pendeln sollen. Der französische Rivale und bisherige Eurostar-Hoflieferant Alstom hatte im Oktober vorigen Jahres zwar das Nachsehen, hat aber seitdem ganze Arbeit geleistet, um das Eindringen eines Fremden in die Heimatdomäne mit freundlicher Unterstützung der französischen Regierung zu verhindern.

Inzwischen dürfte der seit neun Monaten schwelende Streit nur noch auf höchster Ebene zwischen Berlin und Paris zu lösen sein. Der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) fordert unmissverständlich, endlich das entscheidende Hindernis für die Zulassung der neuen Technik der Siemens-Züge durch den Eurotunnel aus dem Weg zu räumen. Doch die Blockadepolitik in Frankreich ist höchst effizient und verzögert die Freigabe. „Die Entwicklung bei den Hochgeschwindigkeitszügen ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass die für den Ärmelkanaltunnel geltenden Sicherheitsbestimmungen für die Züge, die Eurostar oder die Deutsche Bahn künftig einsetzen möchten, aktualisiert werden müssen“, fordert Ramsauer – und schiebt Postulat Nummer zwei in Sachen Wettbewerb gleich hinterher: „Die Angebote und Anforderungen von Eurostar müssen sich technisch realisieren lassen. Schließlich wäre das der Beleg dafür, dass die gemeinsam von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschlossene Liberalisierung des internationalen Schienenpersonenverkehrs auch praktisch umgesetzt wird.“

Kein Gespräch mehr möglich, weder per Mail, Telefon, und schon gar nicht persönlich: Wenn Nahestehende den Kontakt abbrechen, ist das manchmal noch schwerer zu verdauen, als wenn jemand gestorben ist. Woran liegt das? Betroffene und Experten erzählen.

Bei einem wortlosen Abschied bleibt die Ohnmacht. (Bild: Joachim Bago/Getty)

Anrufe, E-Mails und Briefe werden nicht mehr beantwortet. ­Zufällige Begegnungen werden mit ein paar kühlen Sätzen oder eisigem Schweigen abgewürgt. Manchmal beenden Menschen völlig unvermittelt und ohne Erklärung die Beziehung zu denen, die ihnen am nächsten sind.

Ohnmächtig bleiben Eltern, Geschwister oder Partner zurück, fühlen sich aussortiert. Selten habe sie «eine solche Fassungslosigkeit erlebt wie bei Menschen, die plötzlich und ohne Erklärung von jemandem verlassen wurden, der ihnen nahestand», schreibt die Journalistin Tina ­Soliman, die sich in Dokumentarfilmen und Büchern mit dem Phänomen Kontaktabbruch auseinandersetzt.

In den meisten Fällen, wenn sich jemand radikal von seiner Umgebung trennt, wird den Zurückbleibenden der Boden unter den Füssen weggezogen. «Viele Fragezeichen, Sorgen, Tränen, brennende Herzschmerzen. Vor allem unsere Mutter leidet und ich glaube, dass auch ihre gesundheitlichen Probleme damit in Zusammenhang stehen», berichtet die fünfzigjährige Controllerin Elke* über die Folgen des Kontaktabbruchs ihres Bruders.

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Kein Abschied möglich

«Meine Eltern haben ihr Leben lang dran zu nagen gehabt, obwohl mein Vater so wütend auf ihn war, dass er ihn enterbt hat», resümiert der 53-jährige Sozialarbeiter Peter* das Abtauchen seines Bruders. Dieser hatte Frau und Kind verlassen.

Belastend wirkt ein solcher Abschied vor allem, weil es schwerfällt, mit der Trennung seinen Frieden zu machen, wenn die Gründe unklar sind. Peter sagt:

«Wenn jemand stirbt, kann ich auf den Friedhof gehen und es irgendwie schaffen, mich zu verabschieden.»

Bei einem Kontaktabbruch ist es paradoxer­weise oft schwieriger, mit der ­Beziehung abzuschliessen und zur Ruhe zu kommen.

Die amerikanische Psychologin Pauline Boss hat im Hinblick auf Vermisste und andere Menschen mit unklarem Verbleib den Begriff des «uneindeutigen Verlusts» entwickelt. Dieser umfasst jene Situationen, in denen die Trennung von verloren gegangenen Menschen nicht betrauert werden kann, weil ein Rest von Unklarheit und Hoffnung bleibt.

Oft gab es eine Vorgeschichte

«Was die Verlassenen einfordern, ist Plausibilität, also den Sinn hinter dem für sie unerklärlichen Verhalten», schreibt Tina Soliman. Beim Grübeln über die schroffe Trennung stellt sich oft heraus, dass es doch eine Vor­geschichte gab. Ungeschickte ­Bemerkungen, Sticheleien, Versäumnisse oder Zurückweisungen können heftiger wirken, als es der Betroffene zeigen will und kann. So kann im Nachhinein sichtbar werden, dass sich etwas angestaut hatte und Warnsignale vielleicht überhört wurden.

«Ein Kontakt wird meistens aus einer Notsituation heraus abgebrochen», sagt die Berner Psychoanalytikerin und Autorin ­Katharina Ley.

«Weil man so gekränkt, so verletzt ist, denkt man: ‹Der Kontaktabbruch bringt mir Ruhe!› – das ist aber oft nicht der Fall, es ist vielleicht vorübergehend eine gewisse Beruhigung.»

So könne das Beziehungsproblem im besten Fall verdrängt werden, sagt Ley, eine Lösung sei das aber nicht. «Das Grundproblem bleibt, denn durch die Funkstille ist nichts beendet, und beide, Abbrecher wie Verlassener, bleiben innerlich miteinander beschäftigt», schreibt Tina Soliman.

Die subjektiv als bedrängt empfundene Situation der Betroffenen stimmt meist nicht mit der Wahrnehmung der verlassenen Angehörigen überein. Nachdem Elkes Familie nie eine Erklärung bekommen hatte und sich auch noch um offene Rechnungen des verschwundenen Bruders kümmerte, erreichten sie lediglich Äusserungen über Dritte. «Daraus haben wir verblüfft festgestellt, dass er sich als Opfer fühlt», sagt Elke über den Bruder, der schon immer dazu geneigt habe, andere für sein Schicksal verantwortlich zu machen.

Bindungserfahrungen der Kindheit sind prägend

Ob jemand dazu tendiert, eine Beziehung abrupt abzubrechen oder im Gegenteil um fast jeden Preis daran festzuhalten, hänge weitgehend davon ab, wie Bindungserfahrungen in der Kindheit erlebt wurden, sagt Katharina Ley.

«Unbewusst wiederholt man oft etwas, das man erlebt ­ hat – wenn es nicht reflektiert werden konnte.»

Wenn in einer Familie die Worte fehlen, um Konflikte zu klären oder sich vernünftig zu trennen, kann diese Sprachlosigkeit über Generationen wiederholt zum schweigenden Bruch führen. Tina Soliman ist überzeugt, dass die Funkstille als ­«Lösungsmittel» in Familien, in denen sie schon einmal praktiziert wurde, immer wieder auftauche.

Sprachlosigkeit kann über Generationen wiederholt zum schweigenden Bruch führen. (Bild: Urs Jaudas)

Wenn es zu einem Kontaktabbruch komme, sei das auch für die Weggehenden immer etwas Unglückliches, sagt Katharina Ley, weil sie sich selbst einen Teil ihrer Wurzeln abschneiden.

«Es ist, wie wenn auf der Tafel etwas mit dem Schwamm gelöscht wird.»

Manchmal scheint ein solch radikaler Schritt die einzige Möglichkeit zu sein, sich aus einer bedrückenden Situation zu befreien.

Mit der Familie hat sie radikal gebrochen

Eva*, Mitte der Sechzigerjahre geboren, wuchs die ersten Jahre bei den Grosseltern auf. Als die Eltern sie zu sich nehmen konnten, begann eine Leidenszeit bei einem jähzornigen, prügelnden Vater und einer Mutter, die ihre Kinder nicht beschützte, sondern sogar dafür sorgte, dass jene und nicht sie selbst die Wut des Mannes abbekamen. «Ich war durch diese Erziehung ein gebrochener Mensch», sagt Eva heute.

«Die ganze Kindheit habe ich total ­verschreckt zugebracht. Ich habe kaum geredet – wirklich, ich war ein Nichts.»

Sie habe kein Gefühl dafür gehabt, wie es ist, Eltern zu haben. Vater und Mutter seien ihr ein Leben lang fremd geblieben.

Während der Ausbildung gelang es ihr, sich ein eigenes Leben aufzubauen. «Es war lange Zeit so, dass ich gedacht habe, ich kriege noch was von denen, also Zuwendung, Liebe, eine gewisse Anerkennung», sagt sie. Doch nachdem die Eltern ihre selbst eingerichtete Wohnung und ihre neue Frisur gesehen hatten und der Vater den ganzen Tag nur herumgebrüllt hatte, beschloss sie: «Das tue ich mir nicht mehr an!»

Seit jenem Tag vor mehr als zwanzig Jahren hatte Eva praktisch keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern, nur mit Grossmutter und Bruder blieb sie in Verbindung. Mit der Familie, die für sie nie eine richtige Familie war, hat sie radikal gebrochen und sogar ihren Nachnamen ändern lassen. Auf Anraten einer Therapeutin formulierte sie ihre Gründe für den Abbruch in einem an die ­Eltern gerichteten Brief, den sie irgendwann tatsächlich abschickte, der aber unbeantwortet blieb. Die Eltern hätten dadurch zu ­Unrecht ihr ganzes Leben infrage gestellt gesehen, erfuhr sie ­später.

Manchmal ist es besser, sich zu verabschieden

Eine Wiederannäherung ist dennoch in vielen Fällen möglich. Sie gelinge vor allem unter Geschwistern, die keinen Kontakt mehr haben, sagt Katharina Ley. «Man muss sich nicht neu verletzen, neu ärgern lassen, aber irgendwann gibt es dann auch wieder eine Sehnsucht: ‹Das ist doch eigentlich meine Schwester, das ist doch eigentlich mein Bruder!› Ich habe viele Male erlebt, wie das wieder in Gang kommt.»

Viele Verlassene müssten, schon sich selber zuliebe, zumindest versucht haben, etwa mit einem Brief, den Kontakt wieder aufzunehmen, sagt Ley. Wenn das nicht gelinge, sei es aber besser, man verabschiede sich. «Man quält sich sonst nur – und wenn es kein Echo findet, muss man sich selber lieb sein!»

Elke hat ihr eigenes Ritual ­gefunden, mit dem Verlust des Bruders umzugehen. Jedes Jahr schreibt sie ihm zum Geburtstag ein E-Mail mit einem Bericht über das, was in der Familie im vergangenen Jahr passiert ist. Nach grossen Kraftanstrengungen sei sie zur Erkenntnis gekommen, dass ihr nur bleibe, seine Entscheidung zu akzeptieren.

*Name von der Redaktion geändert

Wie verhalte ich mich bei Funkstille?

Funkstille nach Streit: Distanzieren ohne Bestrafen Denn: Ignorieren ist nur eine Bestrafung, die weh tut und noch mehr negative Emotionen erzeugt. Begrüßen Sie sich, wenn Sie sich sehen. Wenn Sie zusammen wohnen, klären Sie Alltagsangelegenheiten. Tun Sie nicht so, als sei nichts passiert.

Was tun wenn jemand keinen Kontakt mehr will?

Lösungen bei einem Kontaktabbruch: 5 Tipps für eine Wiederannäherung.
Suche das Gespräch. Herrscht zwischen dir und jemand anderem Funkstille, hilft es nur, das Gespräch zu suchen. ... .
Sei für jemanden da, aber dränge dich nicht auf. ... .
Akzeptiere, was passiert ist. ... .
Versetze dich in die andere Rolle. ... .
Hol dir professionelle Hilfe..

Wie verhält man sich bei kontaktabbruch?

Nimm es nicht persönlich. Denke auf keinen Fall darüber nach, ob es an deiner Person liegt, dass du geghostet wurdest und auch nicht, ob du es verdient hast. Selbst wenn du dich in der ein oder anderen Situation falsch verhalten hast, gibt es niemandem das Recht, dich kommentarlos zurückzulassen.

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