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Polizisten mit gezogenen Waffen und Gebrüll – nur wegen einer fehlenden Maske? Das behauptet ein virales Video auf Tiktok. Die Berliner Polizei hat nun eine Gegendarstellung veröffentlicht.

Polizisten mit gezogenen Pistolen stehen in einem Berliner U-Bahnhof. Sie rufen "runter, runter" und betreten einen Wagon, um eine Person festzunehmen – die Waffen im Anschlag. Dies ist zu sehen in einem Video auf der Social-Media-Plattform Tiktok. Besonders brisant: In dem Clip wird suggeriert, die Beamten hätten ihre Waffen wegen eines Maskenverstoßes gezogen. Über 600.000 Menschen haben sich das Video bereits angesehen – obwohl es erst am späten Mittwochabend veröffentlicht wurde. Die Empörung über das Vorgehen der Polizei in den sozialen Medien ist groß.

Berlin: "Viele glauben den Behauptungen aus dem Video"

Nun hat die Berliner Polizei auf Facebook und Tiktok zu dem Clip Stellung genommen. Mit einem Maskenverstoß habe die Situation nichts zu tun gehabt, so die Mitteilung. Der Film entstand bereits am Abend des 1. Februar 2022. Zeugen zufolge soll ein 26-jähriger Mann beinahe nackt Fahrgäste belästigt haben. Eine Aufforderung der Zugführerin, den Wagon zu verlassen, habe er ignoriert. Daraufhin soll sie gesehen haben, wie der Mann einen Fahrgast an die Fahrerkabine gedrängt und mit einem Gegenstand bedroht hat, der wie eine Pistole ausgesehen habe.

Die alarmierte Polizei ließ die Fahrgäste aussteigen und stellte den 26-Jährigen noch in der Bahn. Jedoch ist lediglich dieser Ausschnitt in dem Tiktok-Video zu sehen. Der Mann wurde festgenommen und in eine Gefangenensammelstelle gebracht. Eine Waffe wurde nicht bei dem Mann gefunden, lediglich eine Gartenbrause konnte sichergestellt werden, so die Mitteilung. Ob der Mann eine Maske getragen hat, ist nicht bekannt.

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"Leider wird unsere Richtigstellung eher skeptisch gesehen", so ein Mitarbeiter des Social-Media-Teams der Polizei zu t-online. "Viele glauben den Behauptungen aus dem Video."

Tritte bei einer Festnahme in Frankfurt, das Knie eines Polizisten am Hals eines am Boden Liegenden in Düsseldorf, ein Jugendlicher, der in Hamburg zu Boden gedrückt wird: Videos von Polizeieinsätzen haben zu Diskussionen über den Gebrauch körperlicher Gewalt von Ordnungshütern geführt. Doch was sagt die Rechtslage? Wann darf die Polizei Menschen festhalten, zu Boden bringen oder allgemein mit vollem Körpereinsatz agieren? Und wann sind Schüsse aus der Dienstwaffe gerechtfertigt?

Gewaltanwendung muss angemessen sein

"Jeder polizeiliche Verwaltungsakt kann grundsätzlich mit Zwang durchgesetzt werden", erklärt Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Die Anwendung müsse aber im Einzelfall auch erforderlich und angemessen sein, fügt er hinzu.

Zwang muss angedroht werden

Ihm zufolge reicht es nach aktueller Rechtslage aus, dass ein Betroffener einer polizeilichen Anordnung nicht nachkommt. "Auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung kommt es dabei im Regelfall nicht an, was rechtsstaatlich natürlich problematisch ist." Allerdings muss ein Polizist oder eine Polizistin die Anwendung von Zwang normalerweise vorher androhen, wie Arzt erklärt. Für einen Sofortvollzug, also die erlaubte Anwendung von Zwang ohne vorherige Androhung, gebe es nur ganz wenige Situationen. Etwa wenn jemand im Begriff sei, zu fliehen, oder die Beamten angreife.

Langsame Steigerung der Maßnahmen

Auch wenn Zwang erlaubt ist, stellt sich laut Arzt immer die Frage einer doppelten Verhältnismäßigkeit. "Die Grundidee jeder polizeilichen Maßnahme ist: Die Polizei muss zum mildesten Mittel greifen", sagt Arzt. Bei einer Straßenkontrolle hieße das, dass sich zuerst ein Beamter oder eine Beamtin in den Weg stelle. Dann versuche man, den Betroffenen am Arm festzuhalten. Wenn das nicht klappe, versuche man das zu zweit und erst später ihn zu Boden zu bringen. Es gehe also um eine langsame Steigerung der Zwangsmaßnahmen. Was dabei wichtig ist: "Rechtlich gibt es keinen Interpretationsspielraum", erklärt Arzt. "Verhältnismäßigkeit ist keine Frage von Ermessen. Entweder ist eine Maßnahme verhältnismäßig oder sie ist es eben nicht mehr."

Große Gefahr durch Knie am Hals

Zum Thema Verhältnismäßigkeit beim Fall in Düsseldorf, wo eine Person mit einem Knie am Hals fixiert wurde, sagte Rechtsprofessor Markus Thiel von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster der "Süddeutschen Zeitung", dass Hals und Wirbel tabu seien. Das Fixieren des Kopfes sei demnach nicht per se unzulässig, aber als das Knie in Richtung Hals gerutscht sei, hätte der Polizist Thiel zufolge sofort korrigieren müssen. Die Gefahr von Wirbelverletzungen sei zu groß. Zudem könne rasch ein Erstickungsrisiko entstehen.

Das Polizeigesetz

Was die Polizei darf und was nicht, ergibt sich aus dem Polizei- und Ordnungsrecht (POR). Jedes Bundesland erlässt sein eigenes POR, das jedoch weitestgehend auf einem einheitlichen Musterentwurf basiert und sowohl das Strafgesetzbuch als auch das Grundgesetz als Rechtsgrundlage hat. Das POR regelt, wann welche Behörde bestimmte Schritte einleiten darf, um "Gefahren" abzuwehren bzw. Täter zu verfolgen und festzunehmen.

Unter "Gefahr" versteht man eine "drohende Schädigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung", zum Beispiel das Recht des Einzelnen auf sein Leben, auf körperliche Unversehrtheit oder sein Eigentum. Die Polizei kommt also beispielsweise bei Diebstahl, Einbruch, Körperverletzung, schweren Verkehrsunfällen oder Mord.

Zur öffentlichen Sicherheit zählen auch Veranstaltungen und Demonstrationen. Die Polizei trennt dabei meist zwei Lager (Demonstranten und Gegendemonstranten, zwei Fangruppen rivalisierender Fußballvereine ...) voneinander, so dass sie sich nicht gegenseitig an die Gurgel gehen können.

Das darf die Polizei:

  • Meine Identität feststellen: Namen, Geburtstag und -ort, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit erfragen. Denn den Personalausweis muss man nicht dabei haben!
  • Mich "zur Gefahrenabwehr" mit auf die Wache nehmen (z.B. wenn man sturzbetrunken auf die Straße torkelt und andere Verkehrsteilnehmer und sich selbst gefährdet)
  • Mein Fahrzeug anhalten und von außen kontrollieren, Fahrerlaubnis und Fahrzeugschein verlangen, Warndreieck und Verbandskasten kontrollieren
  • Mich für eine Blutabnahme bei Verweigerung des "Pustens" mit zur Wache nehmen (bei Verdacht auf Alkohol oder Drogen am Steuer)
  • Mich vorläufig festnehmen, allerdings höchstens 24 Stunden (ohne richterliche Anordnung der Untersuchungshaft), in Notfällen bis zu 48 Stunden

Das darf die Polizei nicht:

  • Mein Fahrzeug durchsuchen. Das beinhaltet auch den Kofferraum.
  • Mit einer Taschenlampe in meine Augen leuchten, mich auf einer Linie gehen lassen, Gleichgewichtssinn testen, etc. (bei Verdacht auf Alkohol oder Drogen am Steuer)
  • Mich abtasten (Leibesvisitation), außer man stimmt zu oder es liegt der begründete Verdacht einer Straftat vor (z.B. Drogenhandel, Diebstahl). Schweigen heißt hier zustimmen!
  • Meine Tasche durchsuchen, außer wenn der begründete Verdacht einer Straftat vorliegt (z.B. Drogenhandel, Diebstahl)
  • Mich zu einer Unterschrift auf irgendeinem Papier, Protokoll etc. zwingen
  • Meine Wohnung durchsuchen - dazu braucht es einen richterlichen Beschluss. ABER: "zur Gefahrenabwehr", z.B. wenn häusliche Gewalt vorliegt und drinnen ein Mann seine Frau oder seine Kinder verprügelt, darf die Polizei natürlich sofort einschreiten

Schleierfahndung

Verdachts- und anlassunabhängige Kontrollen, sogenannte "Schleierfahndung", sind in den meisten Bundesländern aufgrund des Wegfalls von Grenzkontrollen dennoch gestattet, vor allem, um international operierende Verbrecherbanden zu bekämpfen.

Die Polizei und die Schusswaffe

Polizisten dürfen gezielt auf Menschen oder Gegenstände schießen. Dieser "finale Rettungsschuss" ist erlaubt, um eine akute Gefahr für Leib und Leben (und zwar entweder Unschuldiger oder das der Polizeibeamten selber) zu vermeiden und soll den Täter an Angriff oder Flucht hindern.

Weil ein Schuss mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich enden kann, dürfen die Beamten im Einsatz nur in Extremsituationen zur Waffe greifen. Schießtraining ist deswegen ein fester Bestandteil der Polizeiausbildung.

Zur Aufklärung der Hintergründe und um festzustellen, ob der Schuss auch gerechtfertigt war, wird erstens ein Strafverfahren eingeleitet und zweitens der Fall an eine externe Polizeibehörde übergeben.

Polizisten dürfen schießen wenn:

  • Gegenwärtig Gefahr für Leib und Leben besteht (für Polizisten selbst oder Unbeteiligte)
  • Um ein Verbrechen zu verhindern, bei dem der Täter Schusswaffen oder Sprengstoff verwendet (Selbstmordattentat, Amoklauf, Geiselnahme)
  • Es das "letzte Mittel" ist und alles andere (Drohung, Warnschuss) nicht wirkt

Anzeige gegen Polizisten stellen

Auch gegen einen Polizisten können Strafanzeige und Strafantrag gestellt werden. Wenn Sie Anzeige erstatten wollen, machen Sie das bei der Staatsanwaltschaft. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde können Sie beim Polizeipräsidenten Ihres Bundeslandes stellen.

BRISANT

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