Warum erzählen die Römer die Sage von Romulus und Remus?

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Romulus und Remus: Was der brutale Gründungsmythos wirklich über den Aufstieg Roms verrät

    Die Geschichte von Romulus und Remus soll erzählen, wie Rom entstand. Der Mythos sagt mehr über den Aufstieg Roms aus als lange angenommen. Und er beleuchtet den Charakter der Stadt.

    Roms Geschichte ist voller Gewalt. Und sie beginnt – vielleicht kein Zufall – mit einem Mord. Der Sage nach beschließen die Zwillinge Remus und Romulus im Jahr 753 vor Christus, eine Stadt zu gründen. Am Ufer des Tiber, wo eine Wölfin die beiden ausgesetzten Brüder mit ihrer Milch genährt hat. Doch Remus und Romulus streiten darüber, welcher der sieben Hügel am Tiber für die Stadt geeignet ist. Romulus beginnt mit einem Pflug eine Furche über den Palatin-Hügel zu ziehen. Er schichtet Steine aufeinander, errichtet an dieser heiligen Furche (pomerium) eine kleine Mauer. Sein Bruder spottet über die Befestigung und springt darüber.

    Romulus fühlt sich gedemütigt und schlägt auf Remus ein, bis der nicht mehr aufsteht. Danach ruft er: „So soll es künftig jedem ergehen, der über meine Mauern springt!“ Die Siedlung auf dem Hügel wird fortan seinen Namen tragen und nicht den seines toten Bruders. Dessen Schicksal aber bleibt im kollektiven Gedächtnis der späteren Stadt präsent. In der römischen Mythologie legt Romulus in jenem Jahr 753 vor Christus den Grundstein Roms. Eine Siedlung am Tiber, umgeben von Sümpfen, die zum mächtigsten Reich der Antike heranwächst. Doch wie war es wirklich?

    "Romulus war im späteren Stadtbild Roms eine präsente Persönlichkeit"  Kathryn Lomas, Historikerin

    Die wahre Geschichte

    Forscherinnen und Forscher wissen heute, dass die Geschichte Roms deutlich früher beginnt. Doch verrät der Mythos von Remus und Romulus viel darüber, wie die Römer ihren Aufstieg verstanden und warum sie es für ihr Recht hielten, ein Imperium zu beherrschen. Die ersten Menschen siedeln sich wohl in der Bronzezeit dauerhaft am Tiber an, ungefähr 1200 vor Christus wie archäologische Grabungen ergeben haben. Das liegt wohl tatsächlich an den berühmten Hügeln Roms. Die Hügelkuppen sind leicht zu verteidigen, Sümpfe am Fuß der Hügel sorgen für zusätzlichen Schutz.

    Wahrscheinlich entstehen in dieser Zeit drei voneinander unabhängige kleine Siedlungen auf den Hügelkuppen. Die Menschen leben in Hütten aus Lehm und Holz mit Dächern aus Stroh. Sie halten Ziegen und Rinder, bauen Getreide und Bohnen an. Familienclans herrschen über die Siedlungen. Sie nutzen den lokalen Tuffstein – ein weicher Vulkanstein, der es ermöglicht, erste Mauern aus Stein zu errichten. Dazu graben sie am Palatin-Hügel nach Ton und gewinnen Salz an einer Senke am benachbarten Kapitol-Hügel.

    Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin G/Geschichte.

    Hütten-Urnen und Hammelfleisch für die Reise in die Totenwelt

    Das heutige Forum Romanum dient den frühen Römern als Friedhof. Sie verbrennen ihre Toten und schütten die Asche in Urnen aus Ton. Die Urnen sehen aus wie kleine Hütten. Man will die Menschen wohl symbolisch in ihren Häusern begraben. Dazu bekommen sie Goldstücke, Messer oder Broschen in die Gräber, manchmal auch Nahrung wie Hammelfleisch oder Haferbrei.

    Am Fuß der Hügel fließt der Tiber. Er verbindet die Siedlung mit den angrenzenden Gebieten und dem Mittelmeer. Rom liegt zwischen zwei mächtigen Nachbarn. Im Norden um das heutige Bologna existiert um 900 vor Christus die Villanova-Kultur. Ihre Siedlungen bieten Platz für tausende Menschen, die Asche ihrer Toten ruht in kunstvollen Urnen. Sonst weiß man wenig über sie. Im südlichen Mittelitalien landen ab dem 8. Jahrhundert vor Christus die Griechen an der Küste und gründen Kolonien wie etwa Neapel. Das Wissen, das die Griechen mitbringen, wird Italien radikal transformieren.

    Vasen aus Athen, Bernstein von der Ostsee und Armreifen aus Afrika

    Im Vergleich zu den Nachbarn ist die Region Latium rings um Rom wohl weniger wohlhabend und politisch unbedeutend. Doch die Schiffe, die vom Mittelmeer den Tiber hinauffahren, bringen die junge Siedlung in Kontakt mit dem Rest der Welt. In Gräbern aus dieser Zeit finden sich nicht nur Keramikvasen aus Athen und Korinth, sondern auch Bernsteine von der Ostsee und Armreife aus afrikanischem Elfenbein.

    Im 9. und 8. Jahrhundert vor Christus beginnen die Menschen Pflüge und Werkzeuge aus Eisen zu schmieden. In ganz Italien wächst in der Eisenzeit die Bevölkerung, so auch in der Siedlung am Tiber. Die Hüttendörfer auf den Hügeln verbinden sich langsam zu einer größeren Siedlung. Mauern entstehen und grenzen Grundstücke voneinander ab. Rom ist dabei, eine Stadt zu werden.

    Wann genau die Einwohner sich erstmals als Teil einer gemeinsamen Siedlung verstehen, ist unklar. Auch, ob die frühe Siedlung bereits einen Namen hat. Fest steht nur, Rom entsteht zwischen Bronze- und Eisenzeit über einen Zeitraum von mehr als 500 Jahren hinweg. Dass eine einzelne Person, wie etwa Romulus, die Stadt gegründet hat, ist unwahrscheinlich. Doch ignorieren sollte man die Geschichte von Remus und Romulus deswegen nicht. Der Mythos kann zwar wenig über das frühe Rom aussagen, doch viel über die Zeit, da die Römer zur Weltmacht aufsteigen.

    Rom braucht einen berühmten Gründer, schon wegen des Prestiges

    Mythen über göttliche Zwillinge oder Tiere, die Kinder aufziehen, sind in der antiken Welt weitverbreitet. Nicht nur in der Mythologie der Griechen, sondern auch bei den Germanen, im Nahen Osten und Indien. Ein Brudermord wie zwischen Remus und Romulus taucht mit Kain und Abel im Alten Testament auf.

    Wo die Geschichten ihren Ursprung nehmen, kann heute niemand mehr nachvollziehen. Entscheidend ist etwas anderes: Fast alle bedeutenden Städte im antiken Mittelmeerraum behaupten, dass trojanische Helden wie Odysseus oder Halbgötter wie Herakles ihre Städte gegründet haben. Ein berühmter Stadtgründer bringt Prestige. Auch die Römer brauchen so einen Gründer. Am besten einen, der zu ihren Ambitionen passt. Denn die junge Republik wird im 3. Jahrhundert vor Christus immer kriegerischer, sie ist dabei, ganz Italien zu unterwerfen.

    So verwundert es kaum, dass die Römer in dieser Zeit die erste Statue einer Wölfin in der Stadt errichten, die zwei Kinder säugt. Auch Silbermünzen aus dem Jahr 269 vor Christus zeigen das Motiv. Der Legende nach zeugt der Kriegsgott Mars die Zwillinge, als er die latinische Königstochter Rhea Silvia vergewaltigt. Die Abstammung der Römer von einer italischen Prinzessin und dem Kriegsgott persönlich soll den italischen Völkern und auch den Römern selbst verdeutlichen, dass Rom zum Herrschen auserkoren ist.

    Über sechzig verschiedene Versionen des Gründungsmythos erzählt man sich damals wohl in Rom. Die Römer veranstalten Festivals zu Ehren von Romulus und errichten einen Schrein auf dem Palatin-Hügel. Doch Romulus als Stadtgründer hat Konkurrenz. Eine andere populäre Erzählung behauptet, der trojanische Held Aeneas habe Rom gegründet, nachdem er aus Troja geflohen war.

    Aber wie passt das mit der Erzählung von Romulus zusammen?

    Darüber grübeln einst auch römische Gelehrte. Sie kommen zu dem Ergebnis, Aeneas habe eine Nachbarsiedlung Roms gegründet. Sie erstellen einen Stammbaum, der Romulus’ und Aeneas’ Verwandtschaft belegen soll. Diese Aufstellung entsteht wohl weniger aus wissenschaftlichem Ehrgeiz als aus politischen Motiven heraus. Denn die Römische Republik ist im 1. Jahrhundert vor Christus dabei, Griechenland und das östliche Mittelmeer zu erobern. Eine Verbindung zu den berühmten Trojanern erscheint da nützlich, um die Herrschaft über die Griechen zu legitimieren.

    Ein Asyl für Besitzlose und Vertriebene. Doch es fehlen die Frauen

    Die Mythen von Aeneas und Romulus zeigen, wie die Römer ihre Gründungslegende mit der Zeit weiterentwickeln und so interpretieren, wie es zur politischen Situation passt. Auch in der Innenpolitik. Damals kursieren auch Fortsetzungen des Romulus-Mythos: Demnach soll Romulus nach dem Tod seines Bruders mit wenigen Gefährten Rom bewohnt haben. Um seine Stadt zu füllen, bietet er Vertriebenen, Verstoßenen und Besitzlosen Asyl an und macht sie zu Bürgern. So leben hauptsächlich Männer in der Stadt. Romulus lädt deswegen das benachbarte Volk der Sabiner zu einem Fest ein und entführt nachts die Frauen.

    Als die Männer deswegen gegen Rom in den Krieg ziehen, findet Romulus einen Kompromiss und gliedert das ganze Volk der Sabiner in die Stadt ein.  Auch mit diesem Mythos vom Raub der Sabinerinnen machen die Römer Politik. Römische Senatoren berufen sich auf Romulus, wenn sie fordern, Galliern oder anderen Völkern das römische Bürgerrecht zu verleihen: Rom sei schon unter Romulus eine Macht gewesen, die Fremde und Außenstehende integriert habe, argumentieren sie.

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    Hat ein Archäologe die echte Mauer des Romulus gefunden?

    Wie die antiken Gelehrten versuchen auch heute noch einige Wissenschaftler, Mythos und Geschichte von Roms Gründung zusammenzubringen. 1998 gräbt der römische Archäologe Andrea Carandini am Palatin-Hügel, mitten im Zentrum des heutigen Roms, alte Paläste aus. In 14 Metern Tiefe findet er die Überreste einer Stadtmauer. Er datiert sie auf das Jahr 750 vor Christus. Die Mauer ist niedrig, befindet sich am Fuß des Hügels, ist also kaum zur Verteidigung geeignet. Das löst Spekulationen aus.

    Könnte sie die ursprüngliche Mauer gewesen sein, die Romulus errichtete, über die Remus sprang? Der Archäologe Carandini hält es für möglich, dass es einen Gründer wie Romulus gab, der eine symbolische Grenze um die Siedlung zog. Viele Wissenschaftler widersprechen. Die Historikerin Mary Beard nennt die Theorie in ihrem Buch über Roms Frühgeschichte ein „archäologisches Fantasiegebilde“. Der Fund der alten Mauer sei zwar bedeutend, aber es sei unklar, welche Rolle sie für die Hüttensiedlung auf dem Palatin hatte. Die Existenz von Romulus beweise sie längst nicht.

    Der 21. April 753 vor Christus gilt indessen noch heute als Gründungsdatum der Stadt, die Römer feiern es mit Paraden und verkleideten Gladiatoren. Das Bildnis der Wölfin, die Remus und Romulus säugt, ist überall in Rom zu sehen – als Statue, im Wappen des Fußballclubs AS Roma oder auf Kühlschrankmagneten in den Souvenirshops. Die Mythen über Roms Gründung mögen Fantasie sein. Doch ihre Berühmtheit beweist, dass die Römer noch heute mit Stolz den Mythos verbreiten, der erzählt, wie ihre Stadt zum Imperium wurde.

    von Frederik Seeler

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    Das Original zu diesem Beitrag "Was der brutale Gründungsmythos wirklich über den Aufstieg Roms verrät" stammt von G/Geschichte.

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    Warum erzählten sich die Römer die Sage von Romulus und Remus?

    Warum erfanden die Römer die Sage von Romulus und Remus? Die Römer erfanden die Sage von Romulus und Remus, wahrscheinlich als sie mit der griechischen Kultur in Berührung kamen und mit der Sage an den Troja-Mythos anknüpfen konnten. Außerdem unterstützte die Sage die römische Identitätsbildung.

    Welche Wirkung wollen die Römer mit der Sage erzielen?

    Die Römer nahmen die Sage über Aeneas als Urvater Roms zu einem späteren Zeitpunkt auf. Mit seiner Schrift „Äneis“ schuf VERGIL ein römisches Nationalepos, das den Machtanspruch der Römer durch göttliches Wirken begründete.

    Wie erklären sich die Römer die Gründung Roms wie war es wirklich?

    Eine Legende besagt, dass die Stadt Rom am 21. April 753 vor Christus von ihrem ersten König Romulus gegründet worden war. Auch Livius erzählt in seinem großen Geschichtswerk "Ab urbe condita" (Seit Gründung der Stadt) davon: Romulus und sein Bruder Remus waren die Söhne des Kriegsgottes Mars.

    Was ist der wahre Kern der Sage Romulus und Remus?

    Dass Romulus seinen Bruder Remus tötete, sollte die Wehrhaftigkeit der neuen Stadt unterstreichen: Niemand, nicht einmal der Bruder des Gründers, sollte das pomerium ungestraft verletzen dürfen. So nannten die Römer die geradezu heilige Stadtgrenze.

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