In Breslau wird man als Tourist aus Deutschland weder misstrauisch beäugt noch über den Tisch gezogen. Das ist aber nicht der einzige Grund, sich in Polens liberaler Hochburg wohl zu fühlen.
Veröffentlicht am 19.07.2016 | Lesedauer: 4 Minuten
Von Marko Martin
Veranstaltung zum jährlichen Zwergenfestival in Breslau
Quelle: picture alliance / Robert B. Fishman
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Breslau, die schlesische Metropole an der Oder, hat Reisende bereits vor Jahrhunderten fasziniert. Welch buntes Getümmel, was für ein prosperierender Handel, wie viele Sprachen aus nahezu aller Welt – immer wieder wurde das Treiben rund um den gotischen, später auch barocken Markt beschrieben und gelobt.
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Inzwischen heißt der Marktplatz auf Polnisch Rynek, aus Breslau wurde ab 1945 Wrocław, doch hat die diesjährige Europäische Kulturhauptstadt kaum etwas von ihrer früheren Eleganz und Weltoffenheit verloren. Oder besser: Hat diese wiedergefunden, nachdem die Nazis mit der kriegstaktischen Zerstörung der Altstadt zum Zwecke des irren „Festung Breslau“-Projekts die Bombenflugzeuge der Roten Armee geradezu herbeigelockt hatten.
Die Zwerge "Polonikus" und "Germanikus" vor dem deutschen Generalkonsulat in Breslau
Quelle: picture alliance / dpa
Schon bald nach dem Krieg erstanden die historischen Häuser aus den Ruinen auf dem Rynek wieder in alter, bis heute zu bewundernder Schönheit, wiederaufgebaut von polnischen Baumeistern, dabei einer Idee der neuen kommunistischen Machthaber folgend.
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Nach deren Willen sollte Wrocław – nachdem deutsche Nazis die Breslauer Juden vertrieben und vernichtet hatten und schließlich nach 1945 beinahe alle Deutschen zwangsausgesiedelt worden waren – nun den neuen polnischen Bewohnern zur identitätsstiftenden Heimat werden. Diese waren zum großen Teil selbst Vertriebene, darunter die Geisteselite der Stadt Lemberg, die nun mit dem gesamten ehemaligen Ostpolen Stalins Sowjetreich zugefallen war.
Immer wieder die Frage: Wo kommst du her?
Diese Geschichte sollte der Wrocław/Breslau-Reisende von heute unbedingt kennen, um besser zu verstehen. Und um sich nicht allzu sehr zu wundern, dass er hier weder als Deutscher misstrauisch beäugt noch als Tourist über den Tisch gezogen wird. Nicht in den preislich erstaunlich moderaten Restaurants, nicht in den Bars und Clubs, auch nicht bei der kurzen Taxifahrt vom Rynek hinüber zu den sommerlichen Oderstränden.
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Und ständig wird man von den Einheimischen gefragt: Wo kommst du her? Stammt deine Familie aus Breslau? Mit der deutschen Vergangenheit geht man inzwischen souverän um, ist sogar ein bisschen stolz darauf, schließlich wissen die heutigen Breslauer nur zu gut, was es heißt, als Fremde in eine neue Heimat verpflanzt worden zu sein.
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Stolz ist man freilich auch darauf, die Kommunisten 1989 besiegt zu haben – dies übrigens mit dem subversiven Charme der Zwerge, die nun als Bronze-Gestalten und Maskottchen an nahezu allen Ecken und Enden der Stadt sitzen, an Fassaden kraxeln, sich Zigaretten anzünden oder Erdkugeln stemmen.
Breslauer Zwerge in Wroclaw, ursprünglich Symbolfiguren des Widerstands gegen das realsozialistische Regime in den 80er Jahren
Quelle: picture alliance / Robert B. Fishman
Einst erfunden von dem politischen Happeningkünstler Waldemar Frydrych, waren sie zum Symbol des Kampfes gegen die Kommunistische Partei geworden: Tausende Bürger waren damals durch die Straßen ihrer Stadt gezogen, Zwergen-Transparente in den Händen haltend, mit Zipfelmützen Regierungslobpreisreden haltend oder vor dem Schimpsansenkäfig des Zoos Stalin-Lieder anstimmend.
Die „Bar Barbara“ hat es schon 1989 gegeben
Das war nicht verboten, die damalige Staatsgewalt musste vor der Ungreifbarkeit dieses widerständigen Tuns im liberal gesinnten Wrocław schlicht kapitulieren.
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Ähnlich ist die Lage heute mit der rechtskonservativen Regierung in Warschau. Die hat längst resigniert akzeptiert, dass sich die liberale Hochburg Wrocław nicht auf Linie bringen lassen wird. Auch deshalb fühlen sich hier nicht nur deutschsprachige Nostalgietouristen – ehemalige Breslauer aus Berlin oder Tel Aviv – pudelwohl, sondern auch das Heer internationaler Erasmus-Studenten und Kulturreisende der jüngeren Generation.
Die „Bar Barbara“ freilich, in der man allerlei Informationen zu den zahlreichen Veranstaltungen des laufenden Kulturhauptstadt-Jahres finden kann, hatte es schon 1989 gegeben, damals das imaginierte Hauptquartier der Zwerge. Und auch der Jazz (an lauschigen Sommerabenden im Freien oder im berühmten Club „Vertigo“ zu hören) hatte bereits zu kommunistischer Zeit in Wrocław sein osteuropäisches Zentrum.
Interessanterweise kommt Kamil Abt, der gegenwärtige Jazzstar, aus dem australischen Adelaide. Als Kind wuchs er dort auf, nachdem seine Eltern General Jaruzelskis Polen verlassen hatten. Fragen Sie ihn ruhig nach dem Ende der Jamsessions – Kamil wird Ihnen gern erzählen, wie er mit seinen Eltern nach Wrocław zurückgekehrt ist in diese längst wieder lebensfrohe, tolerante, weltoffene Stadt an der Oder.