Was passiert mit dem Körper im künstlichen Koma?

„Ich kann nur noch einmal sagen: Es gibt Anzeichen, die uns Mut machen...“ (Michael Schumachers Managerin Sabine Kehm zu BILD)

Seit nun 94 Tagen liegt Michael Schumacher (45) im Koma. Jetzt soll sich sein Zustand leicht verbessert haben! Negativ-Berichte, wonach Schumi nicht mehr in der Aufwachphase, sondern in einem Wachkoma liege, weist seine Managerin zurück. Aber in welchem Zustand befindet sich sein Körper nach so vielen Wochen im künstlichen Tiefschlaf?

Tatsache ist: Ein Koma bedeutet eine enorme Belastung für den Patienten. Und doch ist das künstliche Koma ein wesentlicher Bestandteil der modernen Intensivmedizin. Denn häufig haben Patienten nur mit Hilfe des Komas eine Chance, schwerste Erkrankungen und Verletzungen nach Unfällen zu überleben.

Medizinisch notwendig ist ein künstliches Koma meist bei Unfall- und Verbrennungsopfern mit extremen Schmerzen. Aber auch bei schweren Schädelverletzungen hat das Gehirn durch diese Maßnahme mehr Reserven für den Heilungsprozess.

Die Ärzte erhöhen durch das künstliche Koma also die Überlebens- und Heilungschancen ihrer Patienten. Gleichzeitig müssen sie aber auch die negativen Begleiterscheinungen im Griff behalten.

Beispiel: Durch die Bewegungslosigkeit bilden sich die Muskeln zurück. Intensivpatienten benötigen deshalb eine auf ihren jeweiligen Zustand genau angepasste (künstliche) Ernährung mit den Komponenten Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße, Vitamine und Spurenelemente, um dem Muskelabbau vorzubeugen bzw. zu verlangsamen.

Was passiert im menschlichen Körper während eines Komas? Wie können Ärzte den körperlichen Verfall von Komapatienten aufhalten? Wie lange dauert die Aufwachphase?

Renommierte Notfallmediziner beantworten bei BILD die wichtigsten Fragen.

Welche Muskeln bauen sich im Körper in einem solchen Zustand ab?

„Alle Muskeln, die während der Koma-Phase nicht mehr beansprucht werden, können sich abbauen. Dies sind insbesondere die Rumpfmuskulatur und die Muskeln der Arme und Beine“, sagt Prof. Dr. med. Gunter N. Schmidt , Chefarzt der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Asklepios Klinik Altona. Zur Aufrechterhaltung der Beweglichkeit erfolgt auf der Intensivstation täglich eine spezielle Physiotherapie.

„Es kommt praktisch zu einer Verringerung der gesamten Skelettmuskulatur. Das lässt sich auch durch die intensivste passive krankengymnastische Behandlung nicht verhindern. Da die Muskeln sehr schwer sind, kommt es meistens auch zu einer enormen Gewichtsabnahme der betroffenen Patienten“, erklärt Prof. Curt Diehm. „Im künstlichen Koma nimmt aber nicht nur die Kraft der Muskulatur ab. Es kommt auch zu einem deutlichen Funktionsverlust der Flexibilität und Koordination. D.h., dass nach einem Erwachen aus dem Koma gezielte Bewegungsabläufe nicht möglich sind. Das muss erst wieder krankengymnastisch intensiv geübt werden. Zudem nimmt die Beweglichkeit der Gelenke ab – daher kann es auch im Koma zu Fehlstellungen kommen“, so Prof. Diehm weiter.

Was muss nach einer so langen Koma-Phase neu gelernt werden?

„Nach einem künstlichen Koma sind in den meisten Fällen alle wichtigen Funktionen intakt. Häufig durchleben die Patienten – insbesondere nach einem langen künstlichem Koma – eine so genannte „Durchgangsphase“. Hier sind die Patienten für einige Tage verwirrt und nicht voll orientiert. Nach einem organbedingten Koma sind die Ausfälle von der Art und dem Ausmaß der Schädigung abhängig. Hier kann ein Neulernen unter anderem des Schluckens, Sprechens, Schreibens und der Motorik notwendig sein“, sagt Prof. Gunter Schmidt.

Welche Auswirkung hat dieser Zustand auf die inneren Organe des Körpers?

Prof. Gunter Schmidt: „Das Koma an sich hat keine Auswirkungen auf die Funktion der Organe. Durch die Intensivmedizin können die wichtigen Organfunktionen überwacht und gegebenenfalls unterstützt werden.“ „Doch eine permanente Gefahr sind Lungenentzündungen als Komplikationen“, so Prof. Curt Diehm. „Herz, Bauchspeicheldrüse Leber Milz und Nieren werden durch das Koma kaum negativ beeinflusst. Bisher haben die Organe bei Michael Schumacher auch sehr gut funktioniert. Die inneren Organe sind offenbar weiterhin in einem sehr guten Zustand. Sicherlich ist dafür auch die gute körperliche Verfassung vor dem Unfall von Michael Schumacher dafür verantwortlich“, sagt der Mediziner.

Wie lange dauert die Aufwachphase, was machen in dieser Zeit die Maschinen? Welche Funktionen übernehmen sie?

„Abhängig von der Ursache des Komas kann die Aufwachphase unterschiedlich lange dauern. Die Geräte und Monitore unterstützen hierbei die Entscheidungen und Maßnahmen der Ärzte. Verschiedene Körperfunktion – zum Beispiel Atmung, Kreislauf, Nierenfunktion – können unterstützt oder ersetzt werden“, erklärt Prof. Schmidt. „Bei der Beatmung wird sehr früh dafür gesorgt, dass die eigene Atmung und der eigene Atemantrieb gefördert und unterstützt werden. Die eigene Atmung kann so trainiert werden. Dies erleichtert die Entwöhnung von dem Beatmungsgerät“, so der Mediziner weiter.

Was passiert nach einer so langen Koma-Phase in der Reha-Klinik? Welche Reha-Maßnahmen werden angewandt?

Prof. Dr. Günter Seidel, Chefarzt Neurozentrum der Asklepios Klinik Nord Hamburg: „Die Reha-Maßnahmen werden nach dem Muster der Störungen durchgeführt. Zu erwarten sind nach Schädelhirntrauma zum einen Störungen der Hirnfunktion , wie Lähmungen, sensible Störungen, Störungen des Redens, des Verstehens und ggf. auch der Orientierung, Aufmerksamkeit und der Konzentrationsfähigkeit. Zum anderen ist durch die körperliche Inaktivität im Koma mit Muskelabbau und mit Herz-Kreislauf-Problemen zu rechnen.“ Fazit: Je nach den betroffenen Funktionen wird bei der neurologischen Rehabilitation ein multimodales Übungsprogramm (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Neuropsychologie) erstellt, wobei im Vordergrund das Wiederholen von Bewegungsabläufen, die sensible Stimulation und Übungen zur Aufmerksamkeit und Konzentration stehen. „Daneben werden Übungen zur Wiedererlangung der Selbständigkeit bei den täglichen Verrichtungen durchgeführt. Sind die Sprach- und/oder Schluckfunktionen betroffen, wird auch diese Funktion speziell trainiert“, erklärt. Prof. Seidel.

Hier erklärt BILD die wichtigsten Begriffe aus der Intensivmedizin:

►Weaning: Mit Weaning (auch Ventilator-Weaning) ist die Entwöhnung von einem Beatmungsgerät abhängigen Menschen gemeint. Der Mensch muss wieder in den Zustand kommen, selbstständig und frei zu atmen. Eine Möglichkeit kann beispielsweise sein, das Beatmungsgerät innerhalb der Entwöhnung der Maschine auszusetzen – erst 10 Minuten, dann 20 Minuten und so weiter.

►Hirndruck: Wenn sich ein Druck im Gehirn aufbaut, dann kann dieser durch den umliegenden Schädelknochen nicht ausweichen. Der Druck erhöht sich und das kann zum Ausfall verschiedener Körper- bzw. Organfunktionen kommen, wenn der Druck langfristig erhöht ist (beispielsweise für 10 Minuten).

►Durchgangssyndrom (auch Funktionspsychose): Damit ist der Zustand des Patienten nach dem Koma gemeint, denn dieser ist nach dem künstlichen Tiefschlaf meistens sehr benommen und nicht im Hier und Jetzt, kann sich nicht richtig orientieren. Dieser Zustand kann bereits nach einem Tag vorbei sein, aber er kann auch bis zu einer Woche andauern. Manchmal kann der Patient auch seine Angehörigen nicht erkennen. Die Familie sollte auf diesen Zustand der Patienten unbedingt vorbereitet sein.

►Vitalfunktionen: Unter Vitalzeichen bzw. Vitalfunktionen versteht man alle lebenswichtigen Funktionen des menschlichen Körpers – vor allem die Atmung. Denn sie ist ein Zeichen dafür, dass beim Betroffenen Herz und Kreislauf noch funktionieren – das heißt, es muss automatisch auch ein Puls vorhanden sein.

►Tubus: Dabei handelt es sich um einen Beatmungsschlauch, der über den Mund (selten über die Nase) in die Luftröhre eingebracht wird. Bei jemand der sehr lange beatmet wird, erfolgt ein Schnitt durch die Luftröhre.

Was passiert wenn man aus dem künstlichen Koma geholt wird?

Beim Aufwachen kommt es in den meisten Fällen zu einem Durchgangssyndrom, dem sogenannten Delir. In diesem Zustand zwischen Schlaf und Wachsein kann der Patient Wahrnehmungsstörungen erleiden, halluzinieren und orientierungslos sein.

Wie gefährlich ist das künstliche Koma?

Gefahren und Nebenwirkungen eines künstlichen Komas sind nach Ansicht der Fachleute gering. Das größte Risiko besteht darin, dass beim Erwachen nicht alle Grundfunktionen des Körpers wieder störungsfrei anlaufen.

Was spürt man im künstlichen Koma?

Dabei nehmen die Patienten wieder zunehmend mehr Dinge aus ihrer Umgebung wahr. Nach dem Wachwerden braucht der Körper eine Weile, bis er die Medikamente abgebaut hat. Daher haben viele Patienten nach einem künstlichen Koma Entzugserscheinungen wie starkes Schwitzen, Kreislaufbeschwerden oder Verwirrtheit.

Wieso wacht ein Mensch nicht aus dem künstlichen Koma auf?

Menschen, die sich im tiefen Koma befinden, reagieren nicht auf Außenreize und lassen sich auch durch stärkere Schmerzreize nicht aus der Bewusstlosigkeit aufwecken. Die Augen bleiben fast immer geschlossen. Bei Komapatienten wird das Herz-Kreislaufsystem durch intensivmedizinische Maßnahmen künstlich aufrechterhalten.

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