Was passiert wenn man sich lange nicht selbstbefriedigt

Mich verunsichert, dass sich meine Partnerin selbst befriedigt

Kürzlich habe ich (m, 36) per Zufall gesehen, wie meine Partnerin sich selber befriedigt. Das hat mich etwas verunsichert, obwohl wir regelmässig Sex zusammen haben. Falls sie das öfter tut, ist es ein schlechtes Zeichen für unsere Beziehung? Gibt es bei diesem Thema Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Birgit Kollmeyer.

Keine Sorge! Dass Ihre Partnerin sich auch selber befriedigt, ist sicherlich kein schlechtes Zeichen für Ihre Partnerschaft und auch nicht für Ihre Sexualität: Männer wie Frauen leben Sexualität mit sich selbst, auch wenn sie zufrieden sind mit der partnerschaftlichen Sexualität.

Inhalt

Die meisten Menschen hatten schon mal einen. Doch was weiss man über den Orgasmus? Wie befasst sich die Wissenschaft damit? Hier sind fünf Fakten rund um den Orgasmus.

Wie viele Kalorien verbraucht man beim Orgasmus?

Leider nur 2 bis 3 Kilokalorien. Der Sex vorher, der verbraucht zwar Kalorien. Aber leider nicht diejenige Energie, die beim Hochleistungssport verbraucht wird. Männer verbrennen beim Sex etwa 100 Kilokalorien, Frauen kommen auf 70 Kilokalorien.

Wie misst man die Zeit bis zum Orgasmus?

In der Wissenschaft spricht man von der intravaginalen Ejakulations-Latenzzeit, abgekürzt IELT. Die IELT wird als Zeit vom Beginn des Eindringens in die Scheide bis zum Beginn der intravaginalen Ejakulation definiert. Diese Zeit wird in Studien typischerweise mit einer Stoppuhr gemessen.

Dauert beim Mann die Zeit vom Eindringen bis zum Orgasmus weniger als 1 bis 2 Minuten, spricht man von einem vorzeitigen Orgasmus. Mit anderen Worten: Alles unter 1 bis 2 Minuten ist zu kurz und es handelt sich im medizinischen Fachjargon um eine Ejaculatio praecox.

SRF-Sendungen zum Thema

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Bei den Männern braucht es ihn für die Fortpflanzung. Aber warum haben Frauen einen Orgasmus? Und weshalb der Hormoncocktail? Warum es den Orgasmus gibt, ist ein Rätsel.

Wir versuchen dem Geheimnis auf die Spur zu kommen – in den Sendungen «Input» (Sonntag, 28. Juni ab 20 Uhr auf Radio SRF 3) und «Doppelpunkt» (Dienstag, 30. Juni ab 20 Uhr auf Radio SRF 1).

Auch der Kurzpodcast «Input Story» befasst sich mit dem Thema Orgasmus. Du kannst ihn dir oben in diesem Artikel anhören.

Wie lange dauert ein Orgasmus?

Die Koitusphase dauert im Durchschnitt 7 Minuten, sie kann natürlich länger oder kürzer sein. Der Orgasmus selber dauert nur wenige Sekunden. Messungen sind erfahrungsgemäss schwierig und – wie bei der IELT – eher unromantisch. Das individuelle Erleben zeitlich richtig abzuschätzen ist ebenfalls schwierig bis unmöglich.

Beim Mann geht man im Durchschnitt von einem Orgasmus von 13 Sekunden aus, bei der Frau zwischen 13 und 51 Sekunden. Kürzer oder länger, alles ist möglich. Das Erleben ist – wie gesagt – sehr individuell. Als Vergleich: Drei Sekunden auf einer Herdplatte sitzen fühlt sich an wie eine Ewigkeit.

Die Zeit bis zum Orgasmus dauert bei Frauen übrigens im Durchschnitt 13 Minuten.

Haben auch Tiere einen Orgasmus?

Ja! Und die Weibchen haben auch eine Klitoris. Bei einigen Tieren liegt sie in der Vagina. Zum Beispiel bei den Kaninchen. Auch die Klitoris der Frau war ursprünglich in der Vagina. Als Resultat der Evolution ist die Klitorisperle nach aussen gewandert. Die Klitoris besteht aus viel mehr als der Perle. Da sind noch zwei Ärmchen, viele Nervenenden und Gefässe. Die ganze Klitoris misst im Durchschnitt 11 Zentimeter.

Wie wird der Orgasmus öfter erreicht, beim Paarsex oder solo?

Eine Studie der Universität Bern stellt fest, dass70,8 Prozent der befragten Frauen während sexuellen Aktivitäten mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin oft bis immer einen Orgasmus erreichen. Bei der Selbstbefriedigung erreichen 91,3 Prozent der befragten Frauen oft bis immer einen Orgasmus.

Übrigens: Männer kommen beim Paarsex oder solo zu nahezu 100 Prozent. Warum? Männer kennen die eigenen Geschlechtsteile besser und spielen damit von Kindsbeinen an. Sogar männliche Föten im Mutterbauch onanieren. Frauen müssen erst einmal auf Entdeckungsreise gehen. Es ist nie zu spät, mal einen Spiegel zur Hand zu nehmen.

Katja Lewina, geboren in Moskau und als Kind nach Deutschland übersiedelt, hat mit ihrem Buch „Sie hat Bock“ eines der meistbeachteten Bücher über weibliche Sexualität der letzten Jahre verfasst. Jetzt ist mit „Bock. Männer und Sex“ ihr neues Buch erschienen. Hier gibt’s das große Interview mit der Autorin.

Von Boris Jordan

In „Sie hat Bock“ beschreibt Katja Lewina ihre eigenen Erfahrungen als hetereosexuelle, promiskuitive, sexuell aktive und selbstbewusste Frau und setzt sich und ihre Geschlechtsgenossinnen darin in eine Beziehung zu Gesellschaft, Partiarchat und Feminismus. Im Nachfolgeband „Bock. Männer und Sex“ beleuchtet Lewina die männliche Sexualität, mit Hilfe von Interviews, die sie mit Männern aller Altersklassen und Lebensphasen geführt hat. Lewina plädiert für eine aktive und erfüllende Sexualität mit Hilfe von Konsens, Varietät und, vor allem, Kommunikation.

Dumont Verlag

„Bock. Männer und Sex“ von Katja Lewina ist bei Dumont erschienen.

Boris Jordan: Am Cover von „Bock - Männer und Sex“ steht zu lesen, Sie seien angetreten, um die „Untenrumverdruckstheit zu verabschieden“. Sie beschreiben, dass Kommunikation zwischen Partner*innen der Schlüssel zur erfülltem Sex sei. Ist zu wenig Wissen oder zu wenig Reden also das Hauptproblem, warum monogame Beziehungen oft zwangsläufig abflachen oder langweilig werden und man dann heimlich fremdgeht?

Katja Lewina: (Lacht) Tatsächlich gehen wir ja davon aus, dass eigentlich, wenn zwei sich genug lieben, alles mit der Kommunikation und der Intimität, sowohl der körperlichen als auch der emotionalen, wie von Zauberhand passiert. Dass das wortlos funktionieren sollte. In Wirklichkeit ist das vielleicht in der allerersten Verliebtheit ein bisschen so, da zieht man sich irgendwie nackt aus und schmeißt sich hin und sagt „Friss mich auf! Sieh mich an, mit all meinen Geheimnissen und Unzulänglichkeiten, und ich möchte dich ganz genauso!“ Das versiegt aber relativ schnell. Tatsächlich bauen sich monogam lebende Paare unwillkürlich ein Regelwerk aus „gut und schlecht, verboten, erlaubt, richtig und falsch“ auf, auch unausgesprochen, wie Zäune, die um die Beziehung und auch um sich selbst herum aufgebaut werden und die nicht mehr eingerissen werden dürfen. Und dann gibt es vieles, das nicht mehr gesagt oder gedacht werden darf. Das ist nicht mal unbedingt: „Ich möchte mit der und der schlafen oder diese und jene Sexualpraktik erleben“, sondern das sind so Nuancen von: Wie viel Freiheit darf ich mir eigentlich nehmen in dieser Beziehung? Darf ich alleine wegfahren? Darf ich alleine ausgehen? Darf ich dieses oder jenes Hobby haben? Wir fangen an, uns für den Partner/ die Partnerin irgendwie zurück zu nehmen, auf irgendeine Art und Weise. Das gleiche passiert tatsächlich auch sehr häufig mit der Sexualität und den sexuellen Fantasien, die versiegen bzw. eher so für sich ausgelebt werden. Da werden Bedürfnisse nicht mehr geteilt, und das können auch Bedürfnisse nach Sexualität mit jemand Anderem sein. Das ist etwas Unaussprechbares.

Boris Jordan: Man hat dann normalerweise, wenn man nicht zu Ihren Mitteln greift, nur mehr die Möglichkeit, solche Beziehungen zu beenden und eine nach der anderen so lange zu halten, bis das ursprüngliche Feuer versiegt - und dann zum nächsten Feuer. Die serielle Monogamie, die sich ja manchmal fast wie ein Fluch anfühlt.

Katja Lewina: (lacht) Ja, es passiert sehr vielen von uns, dass wir von einer Beziehung in die nächste schreiten, immer auf der Suche nach der absoluten Erfüllung, dass der nächste Partner, die nächste Partnerin uns all das wird geben können, was wir bei dem oder der alten vielleicht nicht bekommen haben. Aber dieser glückselige Zustand wird wahrscheinlich niemals eintreten, wenn wir uns nicht von diesen Ansprüchen verabschieden, von „Ich schnippse einmal mit dem Finger, wenn der oder die Richtige vor mir steht, dann wird alles gut“.

Boris Jordan: Mittlerweile gibt es das Internet und eigentlich keinen richtigen Mangel, es ist alles überall verfügbar. Das Wissen ist doch mehr geworden, das muss doch auch die Kommunikation verbessern?

Katja Lewina: Tatsächlich gibt es eine riesengroße Schere zwischen Anspruch daran, wie unsere Sexualität sein sollte oder auch, wie wir leben wollen, unsere Beziehung leben wollen und dem, wie wir es tatsächlich können. Wir dürfen auf keinen Fall unsere Sozialisierung unterschätzen. Wenn man sich heterosexuelle Sexualität anguckt, dann funktioniert sie immer noch sehr „klassisch“. Wir können im Grunde alles haben, wir können alles machen, aber wir sind irgendwie noch nicht so ganz in der Lage, davon abzuweichen, wie wir erzogen worden sind. Also was Männer machen und was Frauen machen, im Bett oder in der Beziehung. Wir sind aber auf einem guten Weg, glaube ich, weil dieses viele Kommunizieren, dieses viele Hinterfragen ist der erste Schritt, um dahin zu kommen, wirklich etwas zu verändern.

Boris Jordan: Würden Sie sagen, dass Frauen in der Möglichkeit oder der Bereitschaft, über ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse zu sprechen, immer noch mehr Mangel haben als Männer ?

Katja Lewina: Was ich in der Recherche zu meinem zweiten Buch „Bock - Männer und Sex“ gelernt habe ist, dass Männer eigentlich das viel größere Bedürfnis haben, sich über ihre Sexualität zu unterhalten. Die weibliche Sexualität war ja, wie wir alle wissen, über viele tausend Jahre unterdrückt, weitestgehend, durfte sich nicht frei entfalten, existierte nur in Abhängigkeit zum Männlichen. Das versuchen gerade Frauen aufzuräumen. Was die Männer angeht, passiert gerade, dass auch ihre Rolle in diesem dualen System von aktiv-passiv, männlich-weiblich und so weiter in Frage gestellt wird. Und das spüren sie und haben eine sehr große Verunsicherung. Die Männer, mit denen ich gesprochen habe, die hatten ein riesengroßes Redebedürfnis, weil sie alle gesagt haben, unisono: Es gibt keine Räume, in denen ich mich mitteilen kann. Wenn ich mit meinen männlichen Freunden spreche, ist das immer ein kompetitiver Raum. Dann geht es ganz oft darum: Mit wie vielen hast du geschlafen? Wie geil war sie? Dieses ganze sich auf die Brust Schlagen und rausstellen, was für ein geiler Typ du bist. Was ich mir für Männer sehr wünsche ist, dass das aufgebrochen wird, dass die sich untereinander zeigen können, genauso wie Frauen sich untereinander zeigen. Das ist etwas, das ich aus Frauenberichten und auch meinem eigenen Erleben einfach kenne: Frauen reden über alles. Vielleicht reden sie auch manchmal ein bisschen viel, aber es hilft ihnen, verdammt noch mal!

Boris Jordan: Zum Thema „Selbstbefriedigung“: Glauben Sie, dass es überhaupt eine Fantasie gibt, die unabhängig ist von diesem Pornoding, von den Riesenschwänzen und Plastikbrüsten? Wie sieht dann eine Fantasie aus unabhängig von der Pornografie? Ist die überhaupt möglich?

Katja Lewina: Unmöglich. Es ist unmöglich, unsere Fantasie noch von der Pornografie zu trennen. Es ist auch unmöglich, unsere Sexualität von der Pornografie zu trennen. Das ist schon passiert. Aber es ist ja auch nichts Schlimmes, solange man das als Inspiration begreift. Solange man sagt, das ist etwas Schönes, das gibt mir etwas und nimmt mir nichts weg. Wenn wir Pornografie konsumieren und uns dazu selbst befriedigen, dann ist es ein total getrenntes Erlebnis. Ich habe keinen Bezug zu dem, was ich da sehe. Ich habe nicht mal einen Bezug zu meinem eigenen Körper, weil ich lenke mich dann mit etwas anderem ab. Ich spüre mich nicht, ich mache nur reine Stimulation. Wenn ich aber Sexualität habe mit jemandem, dann passiert sehr viel mehr. Wir haben die Haptik, wir haben den Geruch, wir haben die Geräusche, alles passiert ganz unmittelbar. Deswegen ist es auch tausendmal intensiver als das, was ich mit der Selbstbefriedigung vor einem Bildschirm erleben kann. Das ist wie Äpfel und Birnen vergleichen, das darf man einfach nicht. Also selbst was die Penisse angeht. Dieser Riesenschwanz, der im Porno gezeigt wird, der wird nur für die anderen Männer gezeigt, ist mein Eindruck. Frauen freuen sich vielleicht sogar, dass das Teil nicht 30 Zentimeter lang ist und einem am Hals wieder rauskommt. Das sind wieder so männliche Blicke, die da reproduziert werden.

Boris Jordan: Sie haben eine Statistik zitiert, die sich zu widersprechen scheint. In meiner Erinnerung ist es so in dieser Statistik, dass die Männer zwar nicht lecken wollen, aber es trotzdem aufregend finden, während die Frauen die Fellatio nicht so genießen, aber öfter machen. Wie ist es jetzt mit dem Oralsex? Wer will den und wer will den nicht - und wer muss?

Katja Lewina: In der Statistik kam heraus, dass Männer signifikant seltener lecken, als Frauen blasen. Aber auch, dass Männer, die es tun, das Lecken deutlich mehr genießen, als Frauen das Blasen genießen. Sehr viele Männer machen das super gerne und super leidenschaftlich. Aber es ist definitiv so, dass auch sehr viele Männer das eher nicht tun, aus irgendwelchen Hemmungen heraus. Dann gibt es aber auch die Frauen auf der anderen Seite, die häufig ein ganz großes Problem mit ihrem Körper haben, mit ihrer Körperlichkeit, oft auch mit ihrer Vulva, die das Gefühl haben, sie sind irgendwie nicht schön genug. Äquivalent zum Mann, der denkt, er ist möglicherweise nicht groß genug, denkt die Frau häufig, sie ist irgendwie nicht klein genug. Innere Vulvalippen hängen irgendwie raus, oder die äußeren sehen nicht aus wie bei einem kleinen Mädchen oder möglicherweise riecht irgendwas. Also es gibt häufig ganz große Bedenken von Frauen ihrem eigenen Geschlecht gegenüber. Und dann geht er da auch noch mit dem Mund ran! Es passiert definitiv. Aber es passiert, wie ich finde, nicht so häufig, wie es passieren sollte. Die Frauen sind mit dem Blasen immer noch sehr viel weiter vorne als die Männer mit dem Lecken. Da ist noch Luft nach oben.

Boris Jordan: Sie selbst beschreiben in Ihrem ersten Buch Ihr eigenes Sexualleben von der Kindheit bis zu Ihrer jetzigen Situation, wo Sie in einer Beziehung leben, gemeinsam Kinder in einer Patchwork-Situation aufziehen, wo Sie aber trotzdem eine offene Beziehung haben, wo beide Partner die Möglichkeit zu außerehelichem Sex haben. Die erste Frage: Ist die Treue ein „leerer Wahn“? Die zweite Frage ist: Wird der eheliche Sex besser, wenn man sich polyamourös ausleben darf?

Katja Lewina: Alles und nichts davon. Tatsächlich kann Treue ein leerer Wahn sein, wenn man sich wortlos da hineingibt, in der Hoffnung, es möge schon gut gehen, wenn man aufhört, sich mitzuteilen, wenn man Angst hat zu verletzen, wenn man auf sich selber und die eigenen Bedürfnisse keine Rücksicht mehr nimmt. Es geht nicht nur um sexuelle Treue, die in diesem monogamen Beziehungskonstrukt auferlegt wird, sondern um all die anderen Grenzen, die wir um unsere Beziehungen hochziehen. Dieses symbiotische Paar sein, in dem keiner, keine dann noch irgendwie Luft zum Atmen hat, weil alles darauf ausgerichtet ist, dass wir bestehen. Dann wird es ein leerer Wahn, weil dann hat man keine Möglichkeit mehr, sich zu entfalten, zu wachsen, sich zu entwickeln. Treue kann aber auch total schön sein, wenn das aus vollem Herzen passiert. Wenn zwei Menschen sagen: Ja, wir wollen exklusiv sein, das ist das Beste, was wir uns vorstellen können. Möglicherweise ist Beziehung aber nicht als statisches Konstrukt zu begreifen - so ist es heute und so muss es für immer sein -, sondern zu gucken, was passt eigentlich jetzt zu uns? Möglicherweise ist es jetzt gerade genau diese sexuelle Treue. Aber das kann in fünf Jahren ganz anders aussehen. Ich weiß auch nicht, ob ich für immer in einer offenen Beziehung sein werde, weiß doch der Teufel. Das andere, ob Polyamorie bereichernd sein kann für die Paarsexualität? Ja, natürlich. Aber auch da kommt es wieder darauf an, was man daraus macht.

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23. bis 25. Mai 2022

Boris Jordan: Ich hatte den Eindruck, dass die polyamourös lebenden Menschen in meiner Umgebung doch wieder sehr viel Beziehungsarbeit aufwenden mussten, um die Eifersucht zu verhindern. Es geht ja nicht einfach von selbst. Man verliebt sich dann ein bissel oder man ist eifersüchtig darauf. Also man hat Konflikte, die eigentlich in einer Beziehung wären, trägt sie mit sich herum und muss sie alleine lösen.

Katja Lewina: Beides kann passieren. Man kann unheimlich daran wachsen, sich dieser Aufgabe zu stellen, der eigenen Eifersucht, der eigenen Verlustangst, der eigenen Angst, nicht gut genug zu sein, irgendwie im Wettstreit zu geraten. Es ist eigentlich wahnsinnig produktiv für die Psyche, vorausgesetzt, man lässt sich wirklich darauf ein. Das ist das, was viele als unbezwingbar empfinden, wie einen riesigen Berg, den man nicht erklimmen kann. Weil es bedeutet, dass du ständig in Auseinandersetzung gehst mit deinem Partner, deiner Partnerin, dass du andauernd kommunizierst. Ich kann jeden und jede verstehen, der oder die sagt, da hab ich keinen Bock drauf, das ist mir viel zu viel, ich bleibe lieber da drin, dann haben wir unser ruhiges Leben und das ist auch gut. Ich habe mal von einer sehr guten Paartherapeutin den Satz gehört: „Es wird so oder so anstrengend“.

Es geht ja nicht nur um sexuellen Input, sondern auch um emotionalen, geistigen Input. Dass man sich Freiheiten lässt, erfordert vielleicht auch eine gewisse Zurücknahme von Bedürfnissen, Instinkten, Ideen. Wir haben eben entweder nur dieses Spielfeld, oder wir machen das Spielfeld auf. Und auch das wird wieder anstrengend, weil wir müssen in diesem Fall sehr viel mehr miteinander aushandeln und uns aneinander ab kämpfen.

Boris Jordan: Es ist mittlerweile möglich, mit Sachen wie Tinder, dass man ohne klassisches Verliebtsein zur Befriedigung der Bedürfnisse kommt - ein gewisser Fortschritt. Aber das macht es alles nicht unkomplizierter. Wie hängen sie zusammen, die Liebe und der Sex?

Katja Lewina: Große Frage, ganz zum Schluss. Es ist natürlich möglich, körperliche Befriedigung ohne Liebe zu bekommen. Für manche Menschen ist das sogar einfacher, weil sie eben genau diese ganze Kompliziertheit hinter sich lassen können. Sie müssen nicht gucken, was kommt danach? Was kommt davor? Wie gestaltet sich unsere Beziehung eigentlich? Werde ich geliebt? Werde ich nicht geliebt? Die können einfach komplett loslassen. Ich glaube aber, dass für die allermeisten Menschen Sexualität in ihrer besten Form, in ihrer schönsten und reinsten Form tatsächlich nur in Kombination mit Liebe funktioniert. Es ist fast egal, wen Sie fragen: Wann hattest du den besten Sex deines Lebens? Es werden die meisten sagen: In einer Beziehung. Einfach weil die emotionale Tiefe da ist. Es muss nicht unbedingt die allerlängste Beziehung gewesen sein, die man je gehabt hat. Ich würde jetzt auch sagen, dass man in einer Langzeitbeziehung durchaus zu kämpfen hat mit der gemeinsamen Sexualität, einfach weil sich viele Dinge einschleichen und man irgendwann in diesen gemeinsamen Trott kommt. Aber auch dort gibt es immer wieder so Entwicklungsphasen, ich erlebe das in meiner Beziehung, wo ewig nichts passiert oder es wirklich langweilig wird und auf einmal kommt das Krasseste auf der ganzen Welt. Ich möchte wirklich eine Lanze brechen für Sexualität in Liebesbeziehungen. Ich glaube, das ist das Beste, was wir für uns tun können. Das Beste für unsere Sexualität. Das größte Entwicklungsfeld auf jeden Fall.

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