Gleichgeschlechtliche Lebensweisen Show
Von Maike Strietholt · 03.05.2021 Homofeindlichkeit hat eine lange Geschichte. Die Zahl der Gewalttaten gegen homo- und transsexuelle Menschen ist bis heute erschreckend hoch. Befeuert durch autoritäre Strömungen, die festhalten an überkommenen Geschlechterrollen und Männlichkeitsidealen. "Der Kies knirscht unter meinen Füßen, während ich die düsteren Gassen Richtung Straße hinunterlaufe. Wenige Momente später bemerke ich die Silhouetten viele Meter entfernt von mir, in meine Richtung laufend. Früh am Morgen, Wochenende - es ist sicherlich nicht ungewöhnlich, dass Jugendliche um die Häuser ziehen. Dennoch fühle ich mich sofort unwohl. Es dauert nicht lange, da stehen mir ein paar junge Männer gegenüber. Rechts und links stoße ich an die Gruppe, die provokativ zusammengerückt ist und mir keine Möglichkeit gibt, weiterzulaufen. ‚Bist du schwul? Schwuchtel!‘" Alex, 21 "Was ich erlebt habe" - unter diesem Titel veröffentlicht das Berliner Anti-Gewalt-Projekt MANEO Gewalterfahrungen homo-, bi- und transsexueller Menschen. Bastian Finke leitet das Projekt seit 1990. MANEO erstellt jährlich einen Bericht über vorurteilsmotivierte Gewalttaten in Berlin. Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2019. Sensibilität bei der Berliner Polizei deutlich gestiegenEs handelt sich bei den gemeldeten Übergriffen vor allem um Nötigungen, Bedrohungen und Beleidigungen, dicht gefolgt von einfachen und gefährlichen Körperverletzungen. Und sogar Raubstraftaten sind dabei. Dabei ist es gerade für Männer oftmals eine Überwindung, sich als Opfer bei der Polizei zu melden. Die Angst, dort eher belächelt zu werden als Hilfe zu erhalten, ist aus Finkes Beratungserfahrung auch nicht ganz unbegründet. Homofeindlichkeit hat eine lange GeschichteHomosexuelle Menschen als gesellschaftlich marginalisierte und sogar von Gewalt auf offener Straße betroffene Gruppe - das war nicht immer so. In der Antike unterschieden weder Römer noch Griechen zwischen homo- und heterosexuellem Begehren, gleichgeschlechtlicher Sex war nicht unüblich. Im Laufe des Mittelalters wurde aber vor allem der Analverkehr unter Männern als "widernatürliche Praktik" definiert und in den Bereich der Sodomie eingeordnet – was ihn mit sexuellen Handlungen an Tieren gleichsetzte. Bis ins Spätmittelalter drohte schwulen Männern in vielen Teilen Europas die Todesstrafe. Befeuert wurde diese Ächtung durch eine Passage im Alten
Testaments, in der Beischlaf unter Männern als "Gräuel" bezeichnet ist. Gedenkort in Berlin: Schwule Männer und lesbische Frauen wurden im Nationalsozialismus verfolgt.© picture-alliance/ Klaus-Dietmar Gabbert Tatsächlich galt der Paragraph 175 nur Männern - aus dem Grund, dass Frauen gar keine vom Mann unabhängige Sexualität zugewiesen wurde. Verschärfte Verfolgung unter den NationalsozialistenWährend des Nationalsozialismus wurde der Paragraph 175 noch weiter verschärft. Und auch Frauen liefen dann nicht mehr weiter "unter dem Radar". "Bei Frauen war es schwieriger, aber nur scheinbar schwieriger: Da griffen zum Beispiel Ideen von 'asozialem Verhalten'. Das heißt, wenn wir Frauen in Konzentrationslagern finden und dazu eine Aktenüberlieferung, ist von asozialem Verhalten die Rede. Und
wenn man genauer in die Akte guckt, ist dann oft von lesbischer Sexualität die Rede. Das heißt, es hat auch auf der Basis unterschiedlicher Rechtsnormen stattgefunden." Massive Verfolgungen in den 50er- und 60er-JahrenIn den 50er-Jahren rückte das Konstrukt der Ehe in den Mittelpunkt der Betrachtung - in Gerichtsurteilen aus dieser Zeit ist nachzulesen, dass schwul fremdgehenden
Männern die Vernachlässigung ihrer ehelichen Pflichten vorgeworfen wurde. Der Paragraph 175 blieb währenddessen in seinen Grundfesten bestehen – und somit auch die Gefängnisstrafe auf männliche homosexuelle Handlungen. "Und eigentlich erst mit den 1970er-Jahren wurden Rechtsvorschriften gelockert, verschwanden dann aber erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch der dann wiedervereinigten Bundesrepublik. Das heißt, man kann sagen, dass die Geschichte von Homophobie, wenn man das an einer staatlichen Repressionsmaßnahme festmacht, eine wirklich große und lange Kontinuität hat." "Als das Essen kam, saßen wir uns einander zugewandt, unterhielten uns und hielten uns kurz an den Händen. Wir küssten uns zwischendurch. Nach einer kurzen Weile kam dann ein Mitarbeiter des Restaurants auf uns zu. Er sprach uns an. Er sagte mit einer Handbewegung auf uns zeigend, dass er ‚davon‘, also ‚unserem Verhalten‘, bitte weniger haben möchte und machte uns darauf aufmerksam, dass noch andere Gäste in dem Laden seien." Sophie, 39 Im Jahr 2020 gaben in Umfragen rund vier Prozent der deutschen Bevölkerung an, homosexuell zu sein, weitere drei Prozent bezeichneten sich als bisexuell - darunter jeweils etwas mehr Frauen als Männer. Verlässliche Daten über sexuelle Orientierung zu erheben, ist jedoch nicht einfach, da regelmäßig fünf bis zehn Prozent der Befragten keine eindeutige Angabe machen. Als ausschließlich heterosexuell definieren sich nur etwa 85 Prozent aller Deutschen. Es sind also mindestens sieben Prozent der Bevölkerung, die sich auch zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen - ein nicht unerheblicher Anteil. Die gesellschaftlichen Ressentiments
sind dadurch jedoch nicht verschwunden. "Und trotzdem, natürlich leben wir in einer Gesellschaft, in der immer noch Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit tiefsitzend ist und in Sprache, Gewohnheiten eingelassen ist... In die Art und Weise, wie Witze gemacht werden, wie Schimpfwörter eingesetzt werden. Ich glaube, da gibt es eine große Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung 'aha, da gibt es jetzt so ein, zwei Promis ...', und darüber glaubt man schon, sei die Homo- und Transfeindlichkeit erledigt in der Gesellschaft. Das ist natürlich nicht der Fall." Carolin Emcke spricht von Homofeindlichkeit statt HomophobieDen Begriff Homophobie,
der ja eine Angst vor Homosexualität suggeriert, lehnt Emcke bewusst ab. Die Autorin Carolin Emcke hat in einem Buch über ihr eigenes lesbisches Begehren geschrieben.© picture alliance / Holger Hollemann Carolin Emcke schrieb unter anderem ein Buch über ihr eigenes lesbisches Begehren. Sie sieht auch in der heutigen Gesellschaft noch starke stereotype Zuschreibungen gegenüber
Homosexuellen. Schwule Männer würden darin eher dämonisiert. Gleichgeschlechtliche Lebensweisen in rund 70 Ländern unter StrafeAls langjährige
Kriegsberichterstatterin war Carolin Emcke auch mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert. Abwertung anderer Menschen hängt mit Selbstwertgefühl zusammenDer Drang, in Kategorien einzuordnen, Eigenschaften zuzuschreiben – ein zunächst einmal ganz natürliches Verhalten, sagt der Sozialpsychologe Ulrich Klocke von der Humboldt-Universität Berlin. Kussmarathon am Internationalen Tag gegen Homophobie: In etwa 70 Ländern steht eine gleichgeschlechtliche Lebensweise noch immer unter Strafe.© AFP / Pedro Pardo Diese Tendenz zur Abwertung ist jedoch durchaus nicht bei jedem Menschen gleich stark ausgeprägt, sagt Ulrich Klocke. Ob Menschen eine solche Einstellung entwickeln, hängt maßgeblich von ihrer sozialen Prägung ab. Homosexuelle Männlichkeit - ein Teil von MännlichkeitHomosexuelle Menschen brechen mit tradierten Geschlechterrollen. In der Beobachtung von Autor und Journalist Nils Pickert hat Homofeindlichkeit aber vor allem auch mit der Hierarchisierung von Geschlecht zu tun. "Und was wir damit in Kauf nehmen ist, dass wir insbesondere Frauen und marginalisierte Gruppen als Opfer in Kauf nehmen. Und wenn wir alle anderen Problemlösungsstrategien wie Flucht oder sich trösten lassen oder weinen oder sich Hilfe suchen für ein bestimmtes Geschlecht auslöschen, dann schaffen wir die Probleme, die wir im Moment in der Gesellschaft haben." Probleme durch gesellschaftliche Höherwertung von MännlichkeitUnd durch die gesellschaftliche Höherwertung von Männlichkeit herrsche unter Männern eine Art Panik, nicht dem Bild vermeintlicher geschlechtstypischer
Stärke und Härte zu entsprechen. "Ich bin ungeoutet, meine Eltern sind arabischer Herkunft, ich bin in Deutschland geboren und hier aufgewachsen. Ich habe gedacht, ich träume, als mich mein großer Bruder in der Nacht aufweckte und mich plötzlich ohrfeigte und mich fragte: ‚Du bist schwul?!‘ Ich weiß nicht, was mir geschah. Ich bin dann sofort wieder eingeschlafen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich so sehr gehofft, dass es nur ein Traum gewesen war. Doch leider war dem nicht so." Ayman, 20 Ablehnung von Homosexuellen - insbesondere von Schwulen - ist vor allem unter Männern verbreitet. Der Sozialpsychologe Ulrich Klocke
benennt weitere Faktoren, die Homofeindlichkeit verstärken können: "Bildung spielt eine Rolle, also Menschen mit höherer Bildung
neigen weniger stark zu Vorurteilen gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen Menschen. Die politische Orientierung spielt eine Rolle - je stärker jemand politisch nach links orientiert ist, desto weniger Vorurteile hat er oder sie. Und Religiosität spielt eine Rolle - allerdings vor allem fundamentalistische Religiosität." Das Männliche wird erklärungsbedürftig"Was diese Bewegungen hervorgerufen hat oder auch diesen autoritären Backlash, wie ich's ja auch nenne, das ist schon, dass politische Minderheiten in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich sichtbarer geworden sind. Gerade auch Frauen sich unglaublich viele Rechte erkämpft haben, männliche Herrschaft ganz stark in Frage gestellt haben und man auch sieht, dass das Männliche nicht mehr unbedingt die Norm ist. Sondern es ist irgendwie erklärungsbedürftig geworden, und Frauen und andere politische Minderheiten geben sich lange nicht mehr damit zufrieden, einfach mitgedacht zu werden", sagt Susanne Kaiser. "Und das führt dazu, dass Männer ihre privilegierte und dominante Rolle in Politik, Gesellschaft, Familie mehr und mehr verlieren - und dadurch werden manche einfach
ansprechbar für autoritäre Bewegungen, die Männlichkeit sozusagen ins Zentrum ihrer Ideologie setzen." Tradierte Rollenaufteilungen geraten ins WankenGenau diese verzweifelte Argumentation könne man aber gerade weltweit in der Propaganda rechtspopulistischer Regierungen beobachten, so Kaiser. Und das ginge auch stets mit der Bekämpfung von nicht-heterosexuellen Orientierungen einher. Eine Argumentation, die auch von Seiten religiöser Fundamentalisten und Fundamentalistinnen bekannt ist - und sogar Ausdruck in tödlichen Anschlägen fand: Im
Oktober 2020 überfiel in Dresden ein behördlich bekannter Islamist ein schwules Paar, ein Opfer starb an schweren Messerstichverletzungen. Im Sommer 2016 stürmte ein Anhänger des Islamischen Staates schwer bewaffnet einen Schwulenclub im US-amerikanischen Orlando und tötete 49 Menschen. Wie lässt sich Homofeindlichkeit reduzieren?Die gesellschaftliche Akzeptanz aller Geschlechter und sexuellen Orientierungen - schnell und konfliktfrei wird dieser
Zustand sicher nicht erreicht werden. Da sind sich der Autor Nils Pickert und der Historiker Martin Lücke einig. Regie: Friederike Wigger |