Die vollends aufgeklärte welt erstrahlt im zeichen triumphalen unheils

Die Theorien des Frankfurter Philosophen sind erstaunlich aktuell geblieben.

Es gab einmal eine Zeit in Deutschland, da kam keine germanistische Seminararbeit ohne ein Adorno-Zitat aus, da klingelten die Prägungen des wortmächtigen Frankfurter Philosophen als jederzeit tauschbare kleine Münze mit hohem Wiedererkennungswert in den Taschen der Intellektuellen und Halbintellektuellen. Adorno wurde das, was er selbst immer gehasst hat - er wurde modisch. Es waren vor allem die 70er Jahre, in denen der oft genug erschlichene Tiefsinn des Adornismus an den Universitäten grassierte. Die 70er gingen vorbei, der Adornismus verabschiedete sich allmählich auch, und Adorno - blieb.

Tatsächlich: Während die Centenarien anderer Größen der Kritischen Theorie und des Neomarxismus - Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Ernst Bloch - in den vergangenen Jahren relativ geräuschlos über die Bühne gingen, wird „Teddie“, wie alle Welt ihn und auch er selbst sich nannte, anlässlich seines 100. Geburtstages an diesem 11. September gebührend gefeiert. Das Phänomen ist erklärungsbedürftig, denn vielen Philosophemen Adornos wurde arg am Zeug geflickt - auch und gerade von den Aufgeklärten unter seinen Anhängern.

„Dialektik der Aufklärung“

Dies gilt zum Beispiel für die im US-Exil mit Horkheimer, aber im Wesentlichen wohl von Adorno verfasste „Dialektik der Aufklärung“. Dies ist neben der großen Aphorismensammlung „Minima Moralia“ vielleicht sein bedeutendster Text, in dem alle für ihn charakteristischen Denkfiguren bereits versammelt sind. „Seit jeher hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens“, so beginnt das Buch wie mit einem Paukenschlag, „das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“ In der Folge dieses Satzes betreibt Adorno eine radikale Abrechnung mit der abendländischen Vernunfttradition, die als Geschichte einer fortschreitenden und in die Katastrophen der Gegenwart führenden Krankheit beschrieben wird. Dabei erscheint das totalitäre Unheil nicht nur in Gestalt von Faschismus, Stalinismus, Holocaust, sondern auch auf den sanften Pfoten der „Kulturindustrie“, die die lückenlose Integration der Gesellschaft auch ohne offenen Terror bewerkstelligt.

Es ist, so Adorno, die Vernunft selbst - als „instrumentelle“, als von wertfreier Mittel / Zweck-Logik gesteuertes Herrschaftsinstrument -, die erkrankt ist. Diese totalitär sich aufspreizende Vernunft duldet nichts, was sie nicht erfassen kann, und wird selbst wieder zu dem, wogegen sie einst antrat - zum Mythos, zum unentrinnbaren Schicksal.

Die Einwände gegen diese Konstruktion liegen auf der Hand: Es ist unzulässig - weil empirisch und auch sonst nicht haltbar -, den Weg der Menschheit als einen in den Abgrund zu beschreiben. Der Anspruch, Geschichte als Totalität zu entwerfen, überanstrengt das ohne Zweifel vorhandene partielle Erklärungspotenzial des Buches bei weitem. Der Zusammenbruch der totalitären Regime in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, das Aufkommen von kritischen, offensichtlich nicht durch „Kulturindustrie“ zu neutralisierenden Bewegungen in der Zivilgesellschaft, der weltweit offensiv geführte Diskurs über Menschenrechte - all dies widerlegt den grandiosen, geschichtsphilosophisch gespeisten Pessimismus Adornos.

Es tut sich ein grundsätzlicher Selbstwiderspruch auf: Wer nicht nur den Missbrauch der Vernunft, sondern vielmehr diese selbst radikal angreift, kann letztlich keinen Standpunkt mehr angeben, von dem aus ein solcher Angriff erfolgen könnte. Adorno hat dieses Problem gesehen, aber nicht lösen können. Die Spuren einer alternativen, nicht-instrumentellen Vernunft, die er unter dem Schlüsselbegriff der „Mimesis“ fasst, bleiben spärlich.

Wie bei Nietzsche, so ist auch bei Adorno letztlich die Kunst - zumal die Musik - der Fluchtpunkt, auch der Ausweg aus den Dilemmata der Philosophie und ihrer Dingen und Menschen notwendig Gewalt antuenden Begriffssprache. Sie rückt auf zu einem alternativen Medium der Erkenntnis: „Kunst“, so heißt es in der unvollendet gebliebenen „Ästhetischen Theorie“, Adornos letztem Großwerk, „wird zum Rätsel, weil sie erscheint, als hätte sie gelöst, was am Dasein Rätsel ist, während am bloß Seienden das Rätsel vergessen ward durch seine eigene, überwältigende Verhärtung. Je dichter die Menschen, was anders ist als der subjektive Geist, mit dem kategorialen Netz übersponnen haben, desto gründlicher haben sie das Staunen über jenes Andere sich abgewöhnt, mit steigender Vertrautheit ums Fremde sich betrogen. Kunst sucht, schwach, wie mit rasch ermüdender Gebärde, das wiedergutzumachen. A priori bringt sie die Menschen zum Staunen, so wie vor Zeiten Platon von der Philosophie es verlangte, die fürs Gegenteil sich entschied.“

Wie in Adornos Sprache der ästhetische, über das bloße Mitteilen hinausgehende Anspruch unverkennbar ist, so gehören auch seine literarischen und musikalischen Analysen - mögen sie nun Beethoven oder Schubert, Eichendorff, George oder Valery gelten - nicht nur zum Zentrum, sondern zum Besten, Schönsten und ob seiner Sensibilität Ergreifendsten, was er hinterlassen hat. Freilich orientierte sich diese Ästhetik an einem schmalen Kanon von Werken der klassischen Moderne: Proust, Joyce, Kafka, Beckett, Schönberg.

Mit ermüdender Monotonie handeln die Arbeiten der 50er und 60er Jahre vom angeblich „universellen Verblendungszusammenhang“, in dem sich das Leben in der „verwalteten Welt“ abspielt. Das Denken unter diesen Bedingungen kann gar nicht anders als falsch sein. No way out? Doch: Es ist die Gegenelite der Kritischen Theorie, die von dieser allein noch aufgebrachte Kraft der Negation, die gleichsam hinter die Bühne des „triumphierenden Unheils“ zu treten in der Lage ist. Wieso es aber ausgerechnet den kritischen Theoretikern gelingt, sich wie Münchhausen selbst am Zopf aus dem Sumpf zu ziehen? Letztlich kommt es zu einer starren Zweiteilung zwischen den vielen dumm Gebliebenen und den wenigen Erleuchteten, zu denen selbstverständlich Adorno gehört. Damit aber fällt dieser in denselben priesterlichen Gestus, der auch seinem Gegner Heidegger eignet. Es ist Adornos begabtestem Schüler, Jürgen Habermas, zu verdanken, dass die Kritische Theorie mit diesem unguten und sehr deutschen Erbe im philosophischen Habitus gebrochen hat.

Wenig bis gar nichts bleibt vom „politischen“ Adorno. Wer das „Ganze als das Falsche“ definiert, wer in „Gesellschaft“ an sich den Feind erblickt, wer in jedem Konflikt Regression am Werk, ja letztlich ein Vorspiel des Totalitären sieht, der wird zur Sphäre des Politischen kaum Zugang finden. Immerhin bot seine Aufforderung zum Widerstand vielen die Möglichkeit, das für sich nachzuholen, was ihre Väter angesichts der NS-Diktatur versäumt hatten.

Noch einmal also die Frage: Was bleibt? Allemal lehrt uns Adorno einen Blick auf die Moderne, die uns diese nicht flächig, sondern zerklüftet zeigt. Sie ist keine Erfolgsgeschichte - jedenfalls nicht nur -, sondern hat eine barbarische Rückseite. Bei Adorno ist ferner der Widerstand gegen die Hinnahme von Verhältnissen zu lernen, die zu ihrer Rechtfertigung nichts vorbringen können als ihre bloße Vorhandenheit. Und: Angesichts eines dem Quotenzynismus gehorchenden Fernsehens und den Folgen für das Urteilsvermögen, angesichts des Niedergangs der öffentlichen Bildung hat Adornos Kritik an der „Kulturindustrie“ nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.