Was passiert im körper wenn man stirbt

Es gibt sie, die Ruhe vor dem Sturm, auch in unserem Gehirn, wenn das Leben zu Ende geht. Bekommen die Zellen keinen Sauerstoff mehr, stellen sie innerhalb von etwa 30 Sekunden ihre neurobiologischen Aktivitäten ein. So ein Forschungsergebnis des deutschen Mediziners Professor Jens Dreier von der Charité in Berlin:

Wenn man jetzt so elektronische Aktivität aufzeichnet, entsteht ein Zustand der Stille. Ob das dann eine tatsächliche, eine echte Stille ist, kann man nur sehr schwer sagen. Das ist wie gesagt kein normaler Prozess. Und die Zellen befinden sich aber in einem prinzipiell aktivierbaren Zustand.

Das heißt, zunächst ist es für eine Wiederbelebung noch nicht zu spät. Erst danach setzt eine neurobiologische Welle ein, die auch als eine Art Tsunami beschrieben wird. Dabei lösen die Zellen ihre gespeicherten Energiereserven auf. Die intensiven Empfindungen, von denen Patienten mit Nahtoderfahrungen berichten, könnten auf genau diesen Moment zurückgehen:

Also das Entscheidende ist, dass es nach einem gewissen Zeitraum, der so bei zwei, drei Minuten liegt, eine Entladungswelle gibt, die sich vermutlich mit 3 mm pro Minute in der Hirnrinde und anderen Strukturen des Gehirns ausbreitet.

Diese Entladungswelle ist mit keinem anderen Prozess vergleichbar. Sie ist der Anfang vom Ende: Mit der Welle beginnt ein Vergiftungsprozess, an dessen Ende die Zellen verloren sind. Da diese Welle sich nur schleppend ausbreitet, vollzieht sich das Sterben vielleicht langsamer als bisher gedacht.

Die Welle ist nicht der Tod an sich. Also wenn die Welle auftritt, heißt das nur, dass jetzt in dem Moment die Prozesse einsetzen, die für die Zelle extrem giftig sind. Jetzt beginnt die Uhr zu laufen und die Zelle geht langsam in einen Zustand rein, wo sie immer stärker geschädigt ist, und ich muss versuchen, sie daraus zu bringen. Dafür bleibt mir eine gewisse Zeit.

Gerade diese Erkenntnis markiert den Anfangspunkt, um Patienten mit Schlaganfall oder Schädelhirntrauma vor Langzeitschäden zu schützen, sagt der Mediziner: Künftige Forschung wird darauf zielen, diese Veränderungen zu beeinflussen, so dass es nicht zu den Vergiftungsprozessen in den Gehirnzellen kommt, wenn der Körper zwar aufgehört hat, sie zu versorgen, der Patient aber dennoch zu retten ist. Eine andere Folgerung betrifft Menschen, die sterben müssen:

Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, dass so lange es noch solche Prozesse im Gehirn gibt, wo Zellen noch aktivierbar sind, wo sie sich entladen können, dass man einen Menschen, der jetzt verstirbt, in dieser Phase friedlich sterben lässt.

Und das braucht Zeit. Erst dann kann man vielleicht von der Ruhe nach dem Sturm sprechen.

Was passiert im Gehirn, wenn ein Mensch stirbt? Erkenntnisse dazu stammten bisher überwiegend von Nahtoderfahrungen. Nun bietet eine zufällige Entdeckung neue Einblicke

Es ist eine Frage, die viele Menschen beschäftigt: Wie fühlt sich der Tod an? Sehen wir ein Licht am Ende eines Tunnels, den eigenen sterbenden Körper oder zieht das Leben noch einmal vor dem inneren Auge vorbei? Davon berichten einige Menschen nach einer Nahtoderfahrung.

Eine US-Studie deutet nun darauf hin, dass unser Gehirn im Augenblick des Todes wirklich Erinnerungen aufflackern lässt. Darauf deuten zumindest Hirnströme hin, die bei einem sterbenden Patienten in einem Krankenhaus aufgezeichnet wurden.

Dass diese Hirnaktivität überhaupt festgehalten wurde, ist einem Zufall geschuldet: Die behandelnden Ärzte führten bei dem 87-Jährigen, der nach einem Sturz am Kopf operiert worden war und epileptische Anfälle hatte, mehrere Elektroenzephalographien (EEG) durch. Ein EEG zeichnet die elektrische Aktivität des Gehirns auf. Während einer solchen Aufzeichnung erlitt der Patient einen Herzinfarkt und starb.

Wie ein magisches Fluidum verlässt die Kraft des Lebens mit dem Tod den Körper. Was kurz zuvor und danach geschieht, lässt sich dank wissenschaftlicher Untersuchungen immer präziser beschreiben

Insgesamt, so berichten die Wissenschaftler im Fachblatt "Frontiers in Aging Neuroscience", wurden 15 Minuten der Hirnaktivität beim Sterben des Mannes aufgezeichnet. "Wir haben uns darauf konzentriert, was in den 30 Sekunden vor und nach dem Herzstillstand geschah", erläutert Studienleiter Ajmal Zemmar, Neurochirurg an der Universität Louisville. "Kurz bevor und nachdem das Herz aufhörte zu schlagen, sahen wir Veränderungen in einem bestimmten Frequenzbereich der neuronalen Schwingungen, den so genannten Gamma-Oszillationen, aber auch in anderen wie Delta-, Theta-, Alpha- und Beta-Oszillationen."

Das Gehirn spielt möglicherweise wichtige Lebensereignisse ab

Diese Hirnwellen bilden Muster rhythmischer neuronaler Aktivität ab. Verschiedene Wellen werden mit diversen Funktionen verbunden, wobei die in der Studie beschriebenen Frequenzmuster jenen ähneln, die beim Meditieren oder beim Abruf von Erinnerungen auftreten. Das lege nahe, spekuliert Zemmar, dass das Gehirn kurz vor dem Tod durch Erzeugung solcher Oszillationen möglicherweise letzte Erinnerungen an wichtige Lebensereignisse abspiele, "ähnlich wie bei Nahtoderfahrungen".

Frank Erbguth, ärztlicher Leiter der Nürnberger Universitätsklinik für Neurologie, überraschen die Beobachtungen nicht: "Es ist nichts Neues, dass sich das menschliche Gehirn in bestimmten Situationen seine eigenen Bilderwelten schafft." Das sei etwa von Migränepatienten bekannt, aber auch von Drogenkonsumenten. "Entsprechend reihen sich Nahtoderlebnisse in eine Reihe unterschiedlichste Phänomene ein, bei denen das Gehirn Bilder produziert", sagt der Präsident der Deutschen Hirnstiftung.

Beim Sterben steigt der Kohlendioxid-Gehalt in den Zellen an

Was dabei im Hirn passiere, sei gut erklärbar. Mit dem Sterben steige der Kohlendioxid-Gehalt in den Zellen an: "Das führt zu einer Veränderung der Hirnelektrik und des Hirnstoffwechsels – auf diesen beiden Klaviaturen werden Nahtoderlebnisse verortet." Solche könnten auch Menschen erfahren, die besonders gut im Meditieren sind.

Steht der Blutkreislauf still, stellt das Gehirn die Kommunikation zwischen den Nervenzellen ein, bestimmte Rhythmen der Hirnelektrik verschieben sich, die Zellen haben noch einmal einen elektrischen Output

© Lino Mirgeler/dpa

Bei diesen zeigten EEGs vermehrte Gamma-Spektren – ähnlich jenen, von denen die Studie berichte, sagt Erbguth: "Und von diesen Gamma-Aktivitäten wissen wir, dass sie einen Abruf von Erinnerungen anzeigen." Gleichzeitig sind Gamma-Wellen sehr schnell, sie oszillieren mit einer Geschwindigkeit von 30 Hertz pro Minute. "In einem konventionellen EEG ist das Gamma-Band nicht zu sehen", so der Neurologe. Daher sei die in der Studie unternommene differenzierte Auswertung der Wellenbereiche ein neuer Aspekt.

Eine andere Studie zeigte bereits 2013 ähnliche Ergebnisse, nur dass diese Veränderungen der Gamma-Wellen bei Ratten auftraten. Die Autoren der aktuellen Studie deuten dies als Möglichkeit, dass das Gehirn beim Sterben eine biologische Reaktion ausführe, die bei allen Arten gleich sein könnte.

Allerdings beruhe ihre Studie auf einem einzigen Patienten, dessen Gehirn verletzt war und der zudem epileptische Anfälle erlitten hatte: "Solche epileptischen Aktivitäten bedeuten, dass die Hirnelektrik richtig durchgeschüttelt wird", merkt Erbguth an. Hieraus Folgerungen auf das normale sterbende Hirn zu ziehen, sei schwierig.

Zellen im Gehirn bekommen elektrischen Output

Insgesamt liefere die Studie eine weitere Facette für das Wissen zum sterbenden Gehirn, das allerdings schon jetzt umfassend sei: Steht der Blutkreislauf still, stellt das Gehirn die Kommunikation zwischen den Nervenzellen ein, bestimmte Rhythmen der Hirnelektrik verschieben sich, die Zellen haben noch einmal einen elektrischen Output.

Dass der in Form einer sich ausbreitenden Entladungswelle passiert, beschrieben deutsche und US-Neurologen schon 2018 im Journal "Annals of Neurology". Die Aufmerksamkeit, die solche Studien regelmäßig bekommen, erklärt Erbguth damit, dass sie versprächen, einen Blick hinter den Vorhang des Todes zu werfen: "Doch alles, was wir uns anschauen, spielt sich vor dem Vorhang ab." Selbst Menschen mit Nahtoderfahrungen seien dem Tod eben nur nahe gewesen.

Es ist eines der schwierigsten Rätsel der Wissenschaft: Wie bringen die Nervenzellen in unserem Kopf einen fühlenden Geist hervor, ein intelligentes Selbst, das sich als Person begreift – und sogar imstande ist, seine eigene Existenz zu hinterfragen?

Nichtsdestotrotz beinhaltet die aktuelle Studie für den Neurochirurgen Zemmar Hoffnung für Angehörige: "Was wir aus dieser Forschung lernen können ist: Auch wenn unsere Lieben ihre Augen geschlossen haben und bereit sind, zur Ruhe zu kommen, spielt ihr Gehirn vielleicht noch einmal einige der schönsten Momente ab, die sie erlebt haben."

Neurologe Erbguth formuliert nüchterner: "Unser Gehirn ist zumindest in der Lage, noch einmal Bilder zu produzieren." Das zeigten Nahtodberichte, es sei legitim, diese Fähigkeit auch für das tatsächlich sterbende Hirn anzunehmen. Allerdings ergäben Studien aus der Reanimationsmedizin, dass zwar zwei Drittel der Menschen mit einer Nahtoderfahrung angenehme Bilder sahen, aber ein Drittel berichtete von schlimmen Szenen. "Ich wäre zufrieden, wenn das Hinübergehen in den Tod von schönen Erlebnissen begleitet wird", so Erbguth. "Ich fürchte aber, dass man das nicht in der Hand hat."

Alice Lanzke, dpa

#Themen
  • Gehirn
  • Forschung
  • Tod

Toplist

Neuester Beitrag

Stichworte