Wer ist der Gott von den Buddhisten?

500 Religionen, 5.000 oder 50.000? Wie viele verschiedene Religionen es gibt, wissen nicht einmal Experten so genau. Das hängt nämlich sehr davon ab, was man unter "Religion" versteht.

Von: Katharina Mutz

Stand: 03.04.2021

Was heißt überhaupt "Religion"?

Manche Wissenschaftler sagen: Religionen – das sind Geschichten über Götter, Geister, Heilige und andere Wesen. Außerdem vermitteln Religionen bestimmte Vorstellungen darüber, wie Menschen sich richtig verhalten und wie sie sich besser nicht verhalten sollen.

Solche Vorstellungen können sich natürlich schnell ändern – vor allem bei kleinen Glaubensgemeinschaften. Deshalb sagen manche Wissenschaftler: Jeden Tag entstehen neue Religionen und jeden Tag sterben alte Religionen aus. Wenn ein paar Menschen sich zusammentun und an etwas glauben, kann eine neue Religion entstehen. Wenn eine Handvoll Gläubige es aber zum Beispiel nicht schafft, ihre Überzeugungen an ihre Kinder und Kindeskinder weiterzugeben, dann kann eine Religion auch wieder verschwinden.

Die großen Religionen

Der Petersdom in Rom, die größte katholische Kirche.

Viele Religionen haben so wenige Anhänger, dass kaum jemand sie kennt. Es gibt aber auch große Religionen, die in der ganzen Welt verbreitet sind – die sogenannten Weltreligionen. Dazu zählen das Christentum, das Judentum, der Islam, der Buddhismus und der Hinduismus.

Religionen mit einem Gott

Das Christentum und der Islam sind beide aus dem Judentum entstanden. Deshalb kennen Christen und Muslime auch viele der Geschichten aus der Thora, dem heiligen Buch der Juden. Teilweise verehren Juden, Christen und Muslime auch dieselben Propheten – das sind Gesandte Gottes.

Felsendom und Al-Aksa-Moschee in Jerusalem.

Allerdings gibt es auch große Unterschiede zwischen den drei Religionen. Verschieden ist vor allem, wen Juden, Christen und Muslime am meisten verehren: Die Juden warten auf einen Messias, also jemanden, der sie errettet und erlöst. Auch die ersten Christen, die ursprünglich Juden waren, warteten auf einen Messias. Als sie dann Jesus kennenlernten, glaubten sie: Jesus ist der Messias.

Die blaue Moschee in Istanbul.

Viele Juden sahen das jedoch anders – so entwickelte sich das Christentum. Der Islam wiederum, der sechshundert Jahre nach dem Christentum entstanden ist, verehrt den Propheten Mohammed. Trotz dieser Unterschiede gibt es eine wichtige Gemeinsamkeit: Juden, Christen und Muslime glauben alle an nur einen Gott.

Religionen mit vielen Göttern

Das ist keineswegs selbstverständlich. Denn es gibt auch Religionen, bei denen die Menschen an ganz viele Götter glauben. Zum Beispiel Hindus, die vorwiegend in Indien, Nepal und auf Bali leben. Sie verehren etwa den Elefantengott Ganesha, den Affengott Hanuman oder den Schöpfergott Brahma.

Religionen ganz ohne Götter

Elefantengott Ganesha.

Es gibt aber auch Religionen ohne Gott – zum Beispiel den Buddhismus. Die Gläubigen verehren Buddha zwar als Erleuchteten, also als sehr weisen Menschen – er gilt aber nicht als Gott. In manchen Strömungen des Buddhismus gibt es zwar auch verschiedene Götter, sie haben aber nicht so einen großen Stellenwert, wie ihn beispielsweise der Gott im Christentum hat. Und dann gibt es natürlich noch Menschen, die einfach an gar keine Religion und keinen Gott glauben. Wissenschaftler nennen solche Menschen Atheisten.

Wieso gibt es so viele verschiedene Religionen?

Weil es so viele verschiedene Menschen gibt. Denn wie und wo wir leben, beeinflusst, wen wir verehren und wie wir uns unsere Götter, Geister oder Heiligen vorstellen. In manchen Gebieten der Erde leben Menschen in sehr kleinen Gemeinschaften zusammen – oft hat eine Großfamilie oder ein Dorf seine ganz eigene Religion. Klar, dass es deshalb auf der ganzen Welt ganz viele verschiedene Glaubensrichtungen gibt. Außerdem: Wenn alle an dasselbe glauben würden, wäre das vor allem eines – langweilig.

Beim Betreten des Tempels haben sie sich verbeugt. Nachher, wenn die Meditation beginnt, werden sie wieder die Hände vor der Brust zusammenführen und sich verneigen: drei Mal vor der goldenen Buddha-Figur auf dem Altar, einmal vor Shifu, ihrer buddhistischen Lehrerin. Lucy und Ruben praktizieren Buddhismus im Miao-Fa Zentrum in Berlin, üben, ihre Gedanken, ihre Konzepte und ihr Ego hinter sich zu lassen.

Knien vor einem Bildnis

Dass es keinen Gott gibt, davon sind sie überzeugt. Keinen Schöpfer und auch kein Ich, nur unpersönliches Bewusstsein. Und doch kennt ihre Praxis ein Du, ein Gegenüber, mit dem sie in Dialog treten, das angerufen und verehrt wird: Buddha.

Auf dem Weg zur tieferen Einsicht: Lucy und Ruben möchten in der Meditation das Ego hinter sich lassen.© Deutschlandradio/ Milena Reinecke

Wir sitzen im Vorraum des Meditationszentrums, auf dem Holztisch steht eine Kanne Tee. Lucy versucht zu erklären, warum sie sich vor einer Statue verbeugt:

„Wir als Taiwanerinnen sind sehr daran gewöhnt, also wir machen das schon in der Schule als Kinder: Wir verbeugen uns immer vor dem Lehrer. Und wenn man sagt: Ah, da ist eine Buddha-Statue – das hat immer mit Respekt zu tun. Und wenn man das gemacht hat, fühlt man sich viel ruhiger. Ich betrachte die Statue nicht nur als Statue, sondern als ob da wirklich Buddha ist.“

Streben nach Erleuchtung

Ruben kommt ursprünglich aus Venezuela, er hat sich das Verbeugen erst angewöhnen müssen. Inhaltlich teilt er aber Lucys Sicht: „Natürlich: Die Statue repräsentiert den historischen Buddha.“

Gleichzeitig verkörpere Buddha wiederum einen Zustand, sagt Ruben: den der Erleuchtung, in dem die Konzepte von Persönlichkeit und Zeitlichkeit bedeutungslos seien. Man verbeuge sich nur oberflächlich vor einer Person und eigentlich vor der allgemeinen „Buddha-Natur“, erklärt Ruben: dem Potenzial in jedem Lebewesen, auch diesen Erleuchtungszustand zu erreichen.

Das Selbst überwinden: Die Buddha-Natur liegt jenseits der Dualität, die unsere alltägliche Erfahrung prägt, erklärt die buddhistische Lehrerin Shifu Simplicity.© Miao-Fa Zentrum für Meditation

Dieser Zustand kann auch „göttliche Wirklichkeit“ genannt werden, meint der katholische Theologe Daniel Rumel. Die Meditationspraxis und die mit ihr einhergehenden Einsichten seien gar nicht exklusiv buddhistisch. Das Christentum zum Beispiel kenne eine lange Stilletradition, so das Ergebnis von Rumels religionsvergleichenden Studien über den Buddhismus und das Christentum.

Ob im dritten Jahrhundert nach Christus in der ägyptischen Wüste oder im Mittelalter in Deutschland unter dem Begriff Kontemplation, die vorneuzeitlichen Christen hätten viel meditiert und Gott dabei primär unpersönlich, als ein unaussprechliches Geheimnis erfahren, von dem man sich eben kein Bild machen sollte.

Ein Wort für das Verstummen vor Gott

„Wenn wir Worte benutzen, dann beschreiben wir häufig Dinge“, sagt Daniel Rumel. „Und wenn wir jetzt das Wort ‚Gott‘ benutzen - da gibt es einen wunderbaren Aufsatz von Karl Rahner, in dem es heißt, dass das Wort Gott das Wort vor dem Schweigen ist, das es eigentlich meint. Und wenn ich jetzt das Wort ‚göttliche Wirklichkeit‘ benutze, dann benutze ich es, weil ich kein besseres habe."

"Warum habe ich kein Besseres?", fragt Rumel. "Weil ich nur sprechen kann aus der Beschränktheit meiner menschlichen – im buddhistischen Sinn samsarischen, im christlichen Sinn sündhaften – Existenz. Dann benutze ich das Wort ‚göttliche Wirklichkeit‘ für das, was hinter diesen Worten liegt.“

Spannenderweise, sagt Daniel Rumel, habe diese letzte Wirklichkeit sowohl im Christentum als auch im Buddhismus eine erlösende Dimension.

Wenn ich diese Wirklichkeit Gottes erfahre, werde ich aus der leidvollen Existenz meines Daseins erlöst. Und nichts anderes geschieht im Buddhismus - und deswegen ist es diese Perspektive, die mich auch im Buddhismus von einer göttlichen Wirklichkeit reden lässt.

In den christlichen Kulturen sei diese Erfahrung von Göttlichkeit mit der Aufklärung weitestgehend verloren gegangen. Im Buddhismus hingegen gehe es immer noch darum, sich als das individuelle Subjekt, als das man sich im Alltag wahrnehme, aufzulösen und eins zu werden mit dem Transzendenten.

Weisheit vom anderen Ufer

Um sich emotional und intellektuell auf diese Erfahrung einzustimmen, sollen sich Buddhistinnen und Buddhisten nicht nur in Demut verneigen, sondern dabei das Herz-Sutra rezitieren, das die zentralen Annahmen der buddhistischen Philosophie enthält, erklärt Rumel:

„Und dann klingt der Gong, und man kann sagen: All diese Gedanken, all diese Ideen von mir selbst – Nirvana, ich, auf dem Weg zum Ziel –, das sind auch wieder nur Ideen. Und wir sind im Reich der Ideen, das ist dieses Ufer. Und um uns zu erlösen an diesem Ufer, ist was aufgestellt? Die Weisheit vom anderen Ufer. Es gibt eine Anrufung des Geistes vom anderen Ufer, der in den Geist eingeladen wird, der verloren ist. Und dann ist Stille. Man lässt das eigene Denken Aus-reden im wahrsten Sinne des Wortes.“

Der Wunsch, beschützt zu sein: Zen-Meisterin Doris Myôen Zölls probiert es trotzdem: „Es ist die Erfahrung, im Fluss zu sein, und nicht identifiziert zu sein mit den Wellen.“

Wer ist der Gott von Buddhisten?

Der Buddhismus gilt als atheistische Religion, die Vorstellung von einem Schöpfergott existiert hier nicht. Trotzdem knien Menschen in Tempeln überall auf der Welt vor Buddha-Statuen.

Was glauben die Buddhisten?

Die Buddhisten glauben an ein Geist-Kontinuum, das viele Leben durchläuft. Deshalb wirkt Karma nicht nur im jetzigen Leben, sondern auch ins nächste hinein. Umgekehrt sind wir im jetzigen Leben Bedingungen ausgesetzt, die durch unser Karma in vorherigen Leben erzeugt wurden.

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