Wie heißen die Söhne von Mutter Beimer?

Fans sind fassungslos: Die „Lindenstraße“ verliert mit Joachim H. Luger alias Hans Beimer eine ihrer treuesten Figuren. Macht eine Fortsetzung noch Sinn?

Von Markus Ehrenberg

13.05.2018, 15:52 Uhr

Es ist das Ur-Bild der „Lindenstraße“: Weihnachten in einer der ersten Folgen der ARD-Serie im Dezember 1985. Drei Kinder, Vater und Mutter Beimer, gemeinsam musizierend vorm Tannenbaum, eine tiefe Form des Zusammengehörens vorm Bildschirm. Da kann die Welt draußen noch so finster werden – was soll passieren? Nun hat sich das mit der Familie als Zuflucht, dem Nest der Geborgenheit, in den vergangenen 30 Jahren leicht überholt.

Vater Hans Beimer zum Beispiel hat sich in der Serie längst eine jüngere Frau samt Patchworkfamilie gesucht. Trotzdem hat die „Lindenstraßen“-Nachricht dieser Woche nicht nur für „Lindenstraßen“-Fans symptomatischen, wenn nicht alarmierenden Charakter: Der Schauspieler Joachim H. Luger alias Hans Beimer verlässt die „Lindenstraße“. Er stirbt im September den Serientod.

Fassungslose Fans. „Das habe ich nicht erwartet. Ich bin vollkommen überrascht von der Unzahl von Reaktionen in den sozialen Netzwerken“, sagte der 74-Jährige dem „Express“: „Schade! Wie traurig, dass wieder ein Urgestein geht!“ „Was wäre die Lindenstraße-Serie ohne Sie. Bitte bleiben Sie.“ Nun gehören Kommen und Gehen in einer Dauerserie wie „GZSZ“ oder eben „Lindenstraße“ zum Geschäft.

Der Abschied dieser Figur, des treuen, liebevollen Hans Beimer, nach 32 Jahren ist nach dem dramatischen Ende von Bill Mockridge 2016 allerdings der nächste Ausstieg einer zentralen Rolle in der Sonntagssoap. Dazu der Abschied von Autor Michael Meisheit im Februar, der neben Produzent und Erfinder Hans W. Geißendörfer jahrzehntelang die Strippen in der „Lindenstraße“ gezogen hat.

Was immer jemand in der „Lindenstraße“ tut, falsch ist es sowieso

Joachim H. Luger hat sich selbst für dieses Finale entschieden. „Für mich war es eine ganz klare Kiste. Ich habe Anfang Mai die Produktion darüber informiert, dass ich meinen Vertrag nicht verlängern werde.“ Hans W. Geißendörfer und seine Tochter Hana waren vollkommen überrascht: „Sie wollten mich überreden, weiterzumachen. Ich hatte mich klar entschieden.“ So etwas mache man nicht so schnell nach 32 Jahren mit fast 75. „Es gärte schon lange in mir. Ich wollte mehr Freiheit, wieder mehr Theater spielen.“ Luger wird der 48. Serientote aus der „Lindenstraße“ sein. Es werde ein „überraschender Tod“, sagt die ARD, zu sehen am 2. September.

Zählen wir mal durch: Aus der ersten „Lindenstraße“-Folge sind noch Andrea Spatzek (als Gaby Zenker) und Hermes Hodolidis (Vasily Sarikakis) dabei, dazu natürlich Helga (Marie Luise Marjan) und Klaus Beimer (Moritz A. Sachs) aus der Weihnachtssängerfamilie, die ja längst keine Familie mehr ist. Für die – von anfangs fünf Millionen – auf knapp drei Millionen geschrumpfte Zuschauermasse ist das immer noch elektronisches Lagerfeuer, Woche für Woche. Man mag sich kaum vorstellen, ob und wie das Herz der „Lindenstraße“ schlägt, sollten auch Marjan und Sachs gehen.

Die Tatsache, dass die ARD der Serie im vergangenen Sommer erstmals eine fünfwöchige Pause einräumte (ob nun „Kreativpause“, wie der WDR sagt, oder Sparmaßnahme), sowie das längere Ausblieben beliebter Figuren wie Enzo Buchstab (derzeit auf „Weltreise“) zeugen nicht davon, dass die Kultserie zum Durchstarten ansetzt. Da hat das Refresh des Formats (neue Gesichter, mehr Schnitte, noch mehr gesellschaftliche Themen wie Migration, Asyl, Transgender) mit Hana Geißendörfer nur bedingt geholfen.

Die „Lindenstraße“ vermochte es in guten Zeiten, ein Bild unserer Zeit und gleichzeitig eine Kritik daran abzugeben. Kritisch wurde es zuletzt, als sich eine Protagonistin aus der Ärzte-Schmonzette „In aller Freundschaft“ in die Lindenstraße 3 verirrte und Doktor Dressler reinlegen wollte. Er scheint ausgezerrt zu sein, dieser im Grunde interessante Gedanke: Was immer jemand in der „Lindenstraße“ tut, falsch ist es sowieso.

Und jetzt stirbt noch Hans Beimer. Gerade bei ihm, dem „Hansemann“, der mit seiner Frau in der „Lindenstraße“ einen Asylsuchenden bei sich aufnahm, lange bevor es die Flüchtlingswelle gab, lag das Pfund dieser Serie: mit Gesten der Solidarität, moralischen Standards. Vielleicht ist es falsch, weiterzumachen. Vielleicht ist es Zeit, die Kerzenlichter auszublasen, dem allwöchentlichen Untergang der Kleinbürgerklasse nicht mehr beizuwohnen. Sagt ein Zuschauer, dessen Lebenszeit eng mit der Erzählzeit der Serie verknüpft ist, seit 32 Jahren. Und da von alleine nicht runterkommt.

Marie-Luise Marjan wurde als Mutter Beimer in der "Lindenstraße" zu einer Art Mutter der Nation: Ein Gespräch über Supernannys, Adoptiveltern und warum die Deutschen immer weniger Kinder kriegen

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Die Welt: Vergangenen Montag gab es einen Krisengipfel beim Bundespräsidenten, weil in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden. Auch Sie haben sich ja gegen Kinder entschieden - hat man Ihnen das je vorgeworfen?

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Marie-Luise Marjan : Nein. Vielleicht ist es nicht weiter aufgefallen, daß ich keine eigenen Kinder habe, weil ich ja immer und überall mit Kindern präsentiert wurde. Die Helga Beimer war bereits meine 25. Mutterrolle. Insgesamt hatte ich 41 "Fernsehkinder" und 27 "Ehemänner".

Die Welt : Warum haben immer weniger Frauen in Deutschland Kinder?

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Marjan: Ich denke, ein Grund ist die mangelnde Kinderbetreuung. Das wird auch in der "Lindenstraße" thematisiert: Die junge Iffi zum Beispiel suchte immer jemanden, der sich um ihr Söhnchen kümmerte. Das zweite große Thema ist die Bildung. Manche Paare sagen, mit nur einem Einkommen könnten sie sich kein Kind leisten. Arbeiten beide, können sie Kinder zwar finanzieren, aber nicht mehr sinnvoll betreuen. Kinder brauchen Rituale, Rhythmen und nicht nur Freiheiten, die sich daraus ergeben, daß die Eltern nachmittags keine Zeit für sie haben. Es sollte auch bei uns Ganztagsschulen geben wie in vielen europäischen Ländern. Wenn man eine Gesellschaft hat, die auf dem Modell der "Doppelernährer" aufbaut, müssen auch die Kinder versorgt sein

Die Welt : Das Fernsehen gibt Erziehungsratschläge mit Sendungen wie "Supernanny". Bei Mutter Beimer hat man immer das Gefühl, sie wüßte aus dem Bauch heraus, wie sie sich richtig verhält. Folgt der Typ Supernanny auf die "biedere Beimerin"?

Marjan : Ich hoffe nicht. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, es ist ein Trend, immer auf eine solche Stimme zu warten, die sagt, was man tun soll - ob beim Autofahren oder in der Erziehung. Bei jungen Menschen fällt mir oft auf, wie wenig selbständig sie im Alltag denken. Man bittet sie, etwas zu tun, dann machen sie genau das und nicht einen Handschlag mehr. Ältere Menschen entscheiden einfach selbst, was noch zu tun ist.

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Die Welt: Was bedeutet für Sie der Begriff "Mutter"?

Marjan : Beim Wort "Mutter" denken viele immer noch an Frauen, die aussehen wie Trümmerfrauen und Verzicht üben. Aber eine Mutter ist ja auch Geliebte, Partnerin und eben Frau - alles in einer Person. Deswegen waren für mich die Mutterrollen immer die interessanteren. Mütter sind attraktiv, intelligent und interessiert am Leben. Wir sollten versuchen, diesem Wort eine andere Wertigkeit zu geben.

Die Welt: Was für ein Typ Mutter war Helga Beimer 1985, als die "Lindenstraße" startete?

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Marjan : Sie begann als Hausfrau und Mutter im klassischen Sinne. Man bezeichnete sie als "Glucke", was ich nicht falsch fand. Es ist doch normal, daß sich eine Mutter um ihre Kinder sorgt und sich selber zurückstellt. Inzwischen hat sich Helga Beimer geändert. Sie arbeitet als Geschäftsfrau, ihre Ansichten sind etwas moderner. Manchmal sagt sie sogar ihre Meinung.

Die Welt : Und wie war Frau Marjan?

Marjan: Einerseits bin ich selbst mit diesem Frauenbild aufgewachsen. Mein Vater arbeitete im Elektrizitätswerk, meine Mutter war Hausfrau. Eine typische Familie: die Sorgen blieben bei der Mutter hängen, alles Organisatorische beim Vater. Ich kann mich erinnern, wie ich meiner Mutter half, Wäsche auf einem Waschbrett zu reiben. In der Waschküche unseres Miethauses gab es eine steinerne Wanne und einen Kessel. Die Wäsche wurde mit Stangen gewalkt und umgerührt.

Andererseits ist mein Leben ganz anders verlaufen als die Biographie der Helga Beimer. Ich entschied mich früh gegen die typische Hausfrauen-Karriere und fürs Theater. Auch sonst sind wir unterschiedlich - ich lebe seit 22 Jahren in einer festen Partnerschaft zwischen Hamburg und Köln. Wir wohnen also zeitweise getrennt. Das ist eine gute Lösung für Menschen, die beruflich sehr engagiert sind.

Die Welt : Ist die Mutter Beimer denn noch zeitgemäß?

Marjan : Ja, natürlich. Aber sie mußte sich wandeln. Sie wurde älter, die Kinder gingen aus dem Haus. Mit ihrer Scheidung hat sich viel verändert - Helga hat dafür drei Anläufe gebraucht. Sie nahm das Priesterwort bei der Hochzeit ernst, "bis daß der Tod euch scheidet". Sie wollte sich selber treu bleiben, indem sie sich daran hielt. Das fand ich gut geschrieben, denn es erklärte sich aus der Biographie der Figur.

Die Welt : Haben Sie die Rolle beeinflußt?

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Marjan : Manchmal ja. Als Helga Beimer nach der Scheidung Brustkrebs bekommen sollte, habe ich protestiert. Erst Scheidung, dann Krebs - damit hätte man eine ganze Generation von Frauen entmutigt. Helga Beimer sollte ja einen Neuanfang wagen, nachdem sich die Scheidung ein ganzes Jahr hingezogen hatte.

Die WELT : Gab es auf diese Scheidung viele Reaktionen?

Marjan: Sehr viele. In Bamberg gingen Leute mit Schildern auf die Straße, auf denen mein Konterfei und das von "Hansemann" zu sehen war. Darunter stand: "Womit hat sie das verdient?" Unter den Zuschauerinnen gab es zwei Fraktionen. Die einen - schon ein bißchen älter und ein bißchen rundlich - fanden, die beiden sollten wieder zusammenkommen. Sie standen für ein Bedürfnis nach Harmonie. Die anderen kamen ein bißchen eleganter daher. Eine von diesen sagte bei einer Autogrammstunde: "Sie sind doch eine attraktive Frau, lassen Sie doch diesen dünnen Hering. Sie kriegen doch noch was Besseres!" Das waren die selbständigeren Frauen, die den Neuanfang wollten.

Die Welt : Ist die Familie heute ein Auslaufmodell?

Marjan: Nein. Grundsätzlich hat das Urmodell der Familie nie ausgedient, so lange es funktioniert. Aber es kann nicht mehr funktionieren, weil die Zeiten sich heute geändert haben, die Menschen um ihren Erwerb kämpfen müssen und die Frauen zur Selbständigkeit erzogen werden.

Die Welt: Kann die "Lindenstraße" da mithalten?

Marjan : Ja. Man merkt, daß die Handlung mehr und mehr auf die junge Generation zugeschrieben wird. Helga Beimer wurde zum Beispiel blitzschnell in ihrer zweiten Ehe mit Erich Schiller geschieden - zu schnell, wie dessen Darsteller Bill Mockridge und ich fanden. Schließlich hatten wir drei Anläufe gebraucht, um zu heiraten. Auf die Kritik hin haben uns die Autoren schnell wieder zusammengeführt... praktisch, nicht? Wenn das im Leben so einfach wäre!

Die Welt: Geht Mutter Beimer in Rente? Im August werden Sie 65.

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Marjan : Oh nein! Ich habe schon für die kommenden drei Jahre zugesagt... und überhaupt. Ich möchte gern weiterhin alle zwei Jahre einen zusätzlichen Film drehen, und die "Lindenstraße" möchte ich nicht missen. Sie ist sozusagen mein Mutterhaus, mein Zuhause - beruflich gesehen.

Die Welt : Wie war Ihre eigene Familie? Sie sind als Adoptivkind aufgewachsen.

Marjan : Ja, aber das habe ich erst mit 16 erfahren. Als Kind hatte ich es sehr gut bei meinen Eltern, auch wenn sie schon ziemlich alt waren. Meine Mutter war Mitte 40, mein Vater über 50, als sie mich aufnahmen. Ich war allerdings früh auf mich allein gestellt. Meine Mutter starb, als ich 17 war, als mein Vater starb, war ich 27. Ich bin übrigens sehr für die Adoption. Daß Bundeskanzler Schröder noch mit 60 ein Kind adoptiert hat, finde ich völlig in Ordnung - nicht das Alter der Adoptiveltern sollte entscheiden, sondern, ob sie in gesicherten Verhältnissen leben.

Die WELT : Haben Sie Ihre leiblichen Eltern je getroffen?

Marjan : Meine Mutter habe ich nur wenige Male gesehen. Als sie mich bekam, war sie gerade 18 Jahre alt. Ich bin ein Kind der Liebe, darauf bin ich sehr stolz. Aber meine Mutter konnte mich nicht behalten, sie ließ mich im Krankenhaus. Im ersten Jahr kam ich nacheinander in vier Waisenhäuser. Es war ja Krieg und alles sehr schwierig. Ich hege keinen Groll gegen sie. Für mich selbst wäre es zwar nicht in Frage gekommen, ein Kind abzugeben, ich hätte es mitgeschleppt bis ans Ende der Welt, selbst wenn ich nichts zu Essen gehabt hätte. Aber man kann die Situation nicht beurteilen. Vielleicht hat sie ja auch geglaubt, daß es so für das Kind besser ist. Vergangenen Mai ist sie gestorben. Doch das habe ich erst im November durch einen Brief erfahren.

Die WELT : Sind Sie nicht mit der Erwartung erzogen worden, eines Tages Mutter zu sein?

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Marjan : Doch, natürlich. Als kleines Mädchen lernte ich kochen, stricken und all das. Aber ich wußte schon früh, daß mich das Theater sehr viel mehr faszinierte. Meine Eltern waren zunächst dagegen. Mit Anfang 30 fragte ich mich wie viele andere Frauen auch, ob ich eine Familie gründen sollte. Ich war so erzogen, daß man gewissermaßen auf den Traumprinzen zu warten hatte, den man dann heiratete. Viele Männer meinten, eine Frau müsse mit der Heirat ihren Beruf aufgeben. Aber das Theater aufzugeben kam für mich überhaupt nicht in Frage!

Damals war ich schon fast 20 Jahre dabei, und rund um mich beobachtete ich diese ewig gehetzten Kolleginnen-Mütter, die niemanden hatten, der ihre Kinder betreute. Manche ließen ihr Baby in der Not im Kinderwagen in der Garderobe. Ich fand, wenn ich Kinder haben wollte, müßte ich auch Zeit für sie haben. So habe ich dann eben die Kinder in den Fernsehspielen großgezogen.

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