Was passiert wenn ein reaktor explodiert

UN-Kommission ver�ffentlicht Ergebnisse zu den Auswirkungen der Kernschmelze in Tschernobyl 1986 auf Mensch und Umwelt. Zahlreiche Kritiker halten diese Zahlen jedoch f�r gesch�nt.

Die Nachrichten aus Japan �ber den Zustand der Reaktoranlage in Fukushima �berschlagen sich seit Wochen. Wie immer auch die Lage sein wird, wenn diese Ausgabe des Deutschen �rzteblatt gedruckt ist, so ist unbestritten, dass Menschen und die Umwelt um den Reaktor radioaktiv belastet wurden und werden. Welchem Risiko die �Tapferen� direkt an der Strahlenfront, aber auch die Bev�lkerung im Umkreis tats�chlich ausgesetzt sind, kann derzeit nicht abgesch�tzt werden � auch wenn der Pr�sident der Gesellschaft f�r Strahlenschutz, Dr. Sebastian Pflugbeil, meint: �Wir sind in der Liga von Tschernobyl.�

Was passiert wenn ein reaktor explodiert

Tschernobyl 1986: Durch mehrere Explosionen ist die Betonabdeckung des Reaktorblocks abgesprengt worden, so dass der Kernreaktor offen liegt und gro�e Mengen radioaktiven Materials in die Umwelt bl�st. Foto: Keystone

Die UN-Studie wird seit 2001 fortlaufend aktualisiert

Angesichts der Sorge um m�gliche gesundheitliche Sch�den der Betroffenen gewinnt ein Bericht der UN-Kommission UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) zu den Folgen des Reaktorunfalls in Tschernobyl Beachtung. Die seit 2001 fortlaufende Studie wird in regelm��igen Abst�nden aktualisiert. Die nunmehr vorliegende, 178 Seiten umfassende Analyse soll am 26. April, also genau 25 Jahre nach dem �Super-GAU�, auf der zentralen Gedenkkonferenz in Kiew vorgestellt werden. Der neue Bericht sei stark erweitert worden, sagte Malcolm Crick, Generalsekret�r von UNSCEAR am 14. M�rz in Wien, wo die Eckdaten des Berichts vorgestellt wurden. Er umfasse nun die Daten von mehr als 500 000 Arbeitern, die w�hrend und nach dem Unfall vergleichsweise hohen Dosen an radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren. Ebenso seien epidemiologische Daten �ber die radioaktive Belastung der Schilddr�se von circa 100 Millionen Menschen ber�cksichtigt worden.

Zu Erinnerung: Durch den Reaktorunfall in Tschernobyl war eine Fl�che von 150 000 Quadratkilometern in Wei�russland, der Ukraine und Russland � damals die Heimat von f�nf Millionen Menschen � mit Radionukliden kontaminiert worden. Mehr als 330 000 Menschen, die nahe dem Reaktor lebten, mussten evakuiert werden. Dar�ber hinaus waren in Europa weitere 45 000 Quadratkilometer Landfl�che � wenn auch regional unterschiedlich stark � der Strahlung durch Iod-131, Caesium-134 und Caesium-137 ausgesetzt.

�Radionuklide aus dem Tschernobyl-Release waren in allen L�ndern der n�rdlichen Hemisph�re messbar�, hei�t es im UN-Bericht. Insgesamt wurde durch den Atomkernzerfall eine Strahlungsmenge von �ber 2 � 1018 Becquerel (1 Becquerel entspricht der Aktivit�t einer radioaktiven Substanz pro Sekunde) in der Umwelt verteilt.

Daten zu Mortalit�t und Morbidit�t

Wie gef�hrlich sind diese Radionuklide f�r die Gesundheit der Menschen damals und heute? K�nnen die Tschernobyl-Daten Hinweise auf die Langzeitwirkung geringer Strahlendosen geben? Bei der Bewertung der radioaktiven Belastung unterscheidet die UN-Kommission zwischen der akuten Hochdosisstrahlung, der die Arbeiter und das Rettungspersonal am Reaktor ausgesetzt waren, und der Jahrzehnte andauernden chronischen Niedrigstrahlung der Bev�lkerung (siehe Dtsch Arztebl 2011; 108[11]: A 565).

In Tschernobyl sind die meisten Arbeiter gestorben, nachdem sie einer Ganzk�rperstrahlendosis von mehr als 4 000 Millisievert (mSv) ausgesetzt waren. Die durchschnittliche effektive Dosis f�r die verschiedenen Personengruppen im Umfeld des Reaktors von Tschernobyl lag nach Angaben von UNSCEAR:

  • bei 120 mSv (von 10 bis 1 000 mSv) f�r die 530 000 Arbeiter und Nothelfer (�Liquidatoren�), die �ber viele Monate mit der Reinigung der Reaktoranlage und der Konstruktion des Schutzmantels besch�ftigt waren,
  • bei 30 mSv f�r 115 000 evakuierte Personen und
  • bei 9 mSv w�hrend der ersten zwei Jahrzehnte f�r diejenigen Menschen, die in den kontaminierten Gebieten weitergelebt haben,
  • bei unter 1 mSv im ersten Jahr nach dem Ungl�ck f�r die europ�ischen L�nder der n�rdlichen Hemisph�re, und graduell abnehmend in den Folgejahren.

Zum Vergleich: In Deutschland betr�gt die mittlere Hintergrundstrahlung 2,1 mSv pro Jahr (mit regionalen Schwankungen zwischen 1 und 5 mSv). Und bei einer Strahlentherapie wird das Tumorgewebe mit 50 bis 60 Gray bestahlt, was einer Teilk�rperstrahlendosis von 50 000 bis 60 000 mSv entspricht. Weil die Dosen �ber einen l�ngeren Zeitraum verteilt werden, kommt es dabei nicht zu unmittelbaren Strahlensch�den.

Die Arbeiter im nahen Umfeld des Reaktors in Fukushima sollen mit einer Dosis von etwa 170 mSv �verstrahlt� worden sein. In Deutschland d�rfen Erwachsene, die durch ihre Arbeit radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind, innerhalb von f�nf Jahren nicht mehr als 100 mSv aufnehmen, wobei in einem einzelnen Jahr nicht mehr als 50 mSv erreicht werden d�rfen.

Verbrennungen, Infektionen und Hauttransplantationen

F�r die UN-Kommission steht fest, dass von den 134 Menschen, die zum Zeitpunkt der Explosion im Atomkraftwerk besch�ftigt waren, 28 innerhalb der ersten drei Monate an den Akutfolgen der Strahlenbelastung gestorben sind. Sie geh�rten zu den 600 Arbeitern, die sich am Tag nach der Explosion auf dem Reaktorgel�nde befunden hatten. Weitere 106 entwickelten eine akute Strahlenkrankheit und mussten �ber Jahre wegen Verbrennungen, Infektionen und Hauttransplantationen behandelt werden. Bis 2006 starben aus ihrem Kreis 19 Personen, allerdings �aus unterschiedlichen, nicht unbedingt durch die Strahlung verursachten Ursachen�, hei�t es in dem Bericht.

Bei den 530 000 Liquidatoren gebe es Hinweise auf �leicht erh�hte Raten� an Leuk�mie und Katarakten. Es ist bekannt, dass Tr�bungen der Augenlinse durch relativ niedrige Strahlendosen verursacht werden. Dar�ber hinaus habe man keine Belege f�r strahlenbedingte Gesundheitsbeeintr�chtigungen gefunden, bilanziert das UN-Komitee. Weitgehend unerforscht sei auch die Auswirkung von Radioaktivit�t auf die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Weitere Krebserkrankungen �sind nicht auszuschlie�en�

F�r die allgemeine Bev�lkerung sei ein erh�htes karzinogenes Risiko bisher kaum auszumachen. Obwohl die UN-Experten Krebserkrankungen als Folge des Reaktorunfalls �nicht ausschlie�en k�nnen�, sei die Datenlage f�r eindeutige Assoziationen nicht ausreichend; sie verwiesen auf den schwelenden Streit unter Wissenschaftlern, ob es einen Schwellenwert f�r eine Sch�digung durch radioaktive Strahlung gibt oder ob das Risiko linear zunimmt.

Fukushima 2011: Abtransport von Arbeitern, die am havarierten Atomkraftwerk so starker Strahlung ausgesetzt waren, dass sie in eine Klinik eingewiesen werden mussten.

Fukushima 2011: Abtransport von Arbeitern, die am havarierten Atomkraftwerk so starker Strahlung ausgesetzt waren, dass sie in eine Klinik eingewiesen werden mussten.

Ein eindeutige Zuordnung zum Reaktorungl�ck sieht die UN-Kommission jedoch im Anstieg diagnostizierter Schilddr�senkarzinome: Sprach sie lange Zeit von weniger als 2 000 zus�tzlichen Krebserkrankungen, gelten nunmehr 6 000 als gesichert; 15 Patienten sind an den Folgen dieser Tumorform gestorben. Betroffen sind Menschen, die zum Zeitpunkt des Ungl�cks Kinder und Jugendliche (zwischen 0 und 18 Jahre) waren.

Die Schilddr�senkarzinome sind vor allem auf den Verzehr von mit Iod-131 kontaminierter Milch und Blattgem�se zur�ckzuf�hren. �Die wahren Auswirkungen auf die �ffentliche Gesundheit werden sich erst mit zunehmendem Alter der Betroffenen zeigen�, betonte der US-Radiologe Prof. Fred Mettler in Wien. Denn Schilddr�senkrebs trete vermehrt erst ab dem Alter von 40 Jahren auf.

Besonders hohes Krebsrisiko bei Kindern unter vier Jahren

Eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung f�r Schilddr�senkazinome best�tigen auch �rzte am Institut f�r Endokrinologie und Stoffwechsel in Kiew, die k�rzlich die Ergebnisse einer Kohortenstudie mit etwa 13 000 Kindern und Jugendlichen ver�ffentlichten (Environmental Health Perspectives 2011; doi: 10.1289/ehp.1002674). W�hrend einer Nachbeobachtungszeit von insgesamt 73 000 Personenjahren wurden 65 Schilddr�senkarzinome diagnostiziert. Die � rein rechnerische � Strahlenbelastung lag zwischen 0,09 bis 48 Gray. Mit jedem Gray einer Exposition verdoppelte sich das statistische Risiko f�r ein Schilddr�senkarzinom. Am h�chsten war das Risiko f�r Personen, die zum Zeitpunkt des Reaktorungl�cks j�nger als vier Jahre alt waren.

Mit neuen, f�r die Allgemeinheit von Tschernobyl ausgehenden Gefahren rechnet die UN-Kommission nicht. �Die Messungen haben ergeben, dass die radioaktive Strahlung in der Sperrzone im Umkreis von 30 Kilometern der Anlage weitgehend abgesunken ist. Es ist in etwa so, als ob man zum R�ntgen geht�, sagte Crick in Wien.

UN-Daten rufen bei einigen Institutionen Kritik hervor

Die Daten der UN-Kommission bleiben jedoch aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen nicht unwidersprochen: Roland Scheidegger, Strahlenbiologe beim Eidgen�ssischen Nuklearsicherheitsinspektorat in Brugg, Schweiz, h�lt die Datenlage zu Tschernobyl f�r schlecht (�Neue Z�rcher Zeitung� vom 20. M�rz), weil in der ehemaligen Sowjetunion kaum Krebsregister gef�hrt worden seien. �Vor der Katastrophe war das Gesundheitssystem rudiment�r, nachher sehr modern�, so Scheidegger. Mit besseren Diagnosemethoden erkenne man heute automatisch mehr Krebsf�lle � somit k�nnte ein beobachteter Anstieg an Tumorerkrankungen eben auch ein Artefakt sein.

Ganz andere Zahlen publizierte 2006 die atomkritische �rzteorganisation IPPNW gemeinsam mit der Gesellschaft f�r Strahlenschutz e.V. Die Studie zu den gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl st�tzt sich auf wissenschaftliche Arbeiten, Einsch�tzungen von Fachleuten und offizielle Angaben von Beh�rden. Die Analyse der Tschernobyl-Folgen w�rde jedoch durch erhebliche Wanderungsbewegungen der Menschen aus den mit Radioaktivit�t belasteten Gebieten in weniger belastete Gebiete erschwert. Zudem seien viele Daten nicht frei zug�nglich, weil sie in Ost und West �der Geheimhaltung� unterl�gen.

�Sowohl die Regierungen in Russland, Wei�russland und der Ukraine als auch die der Atomkraftwerke betreibenden Staaten des Westens und die relevanten Organisationen der Vereinten Nationen haben kein Interesse an einer umfassenden und �ffentlich �berpr�fbaren Erforschung der Tschernobyl-Folgen�, meint Pflugbeil. Hinzu komme die Sprachbarriere, die dazu gef�hrt habe, dass wichtige, in russischer Sprache publizierte Studien von der westlichen Fachwelt ignoriert w�rden.

Zunahme von Missbildungen, Fehl- und Totgeburten

W�hrend der jetzigen Situation in Japan h�lt Pflugbeil eine Ausweitung der Evakuierungszone rund um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima f�r dringend erforderlich. Gemeinsam mit der IPPNW bittet er die japanische Regierung, die Evakuierung der Bev�lkerung so rechtzeitig und weitr�umig durchzuf�hren, dass insbesondere der Schutz von Kindern und Schwangeren gew�hrleistet sei. Die Empfehlung der US-amerikanischen Atombeh�rde, die Evakuierungszone auf 80 Kilometer auszudehnen, kann ihm zufolge ein erster Schritt sein.

Der Internationalen Atomenergiebeh�rde (IAEA) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) indes wirft die IPPNW seit Jahren Unstimmigkeiten bei der Darstellung der Tschernobyl-Folgen vor. Erst vor wenigen Tagen forderte sie die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass die WHO die �ffentlichkeit endlich unabh�ngig �ber die gesundheitlichen Auswirkungen von ionisierender Strahlung informiere. �Die WHO-Reaktion auf die atomare Katastrophe von Fukushima ist v�llig unzureichend. Wir bef�rchten eine Interessenkollision mit der IAEA, die die Risiken der Atomenergie seit Jahren herunterspielt�, erkl�rt Angelika Clau�en von der IPPNW dem Deutschen �rzteblatt.

Den Daten von UNSCEAR st�nden andere Untersuchungsergebnisse, beispielsweise die des Biologen Alexej Jablokow, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, gegen�ber. �Er geht von 900 000 bis 1,8 Millionen Toten weltweit aus�, berichtet Clau�en, �die Zahlen beziehen auch k�nftige Tote mit ein, weil die Tschernobyl-Nuklide weiter in der Biosph�re bleiben.� Kritisch betrachtet die atomkritische �rzteorganisation zudem die Fokussierung der Studie allein auf die n�here Umgebung von Tschernobyl.

Humanit�re Hilfe in und aus Deutschland ist gefragt

�Immerhin ist der gr��te Anteil der Strahlenbelastung, n�mlich 53 Prozent, auf andere europ�ische Staaten als Russland, Belarus und die Ukraine niedergegangen. Dies belegen die Messungen des italienischen Forschers Marc DeCort f�r die Europ�ische Union aus dem Jahr 1998�, sagt die IPPNW-�rztin. Auch werde der enorme Anstieg der schweren Missbildungen, Fehlgeburten und Totgeburten sowohl in der Tschernobyl-Region als auch in Europa von UNSCEAR v�llig ignoriert.

F�r Clau�en steht fest: �Die Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Sie ist nicht beherrschbar, angefangen vom Uranbergbau �ber den laufenden Betrieb bis hin zum Super-GAU und der ungel�sten Endlagerproblematik. Sie macht uns Menschen und besonders unsere Kinder krank.� Auch die globalen Klimaver�nderungen seien mit der Atomenergie, die gerade einmal zwei Prozent zur Weltenergieversorgung beitrage, nicht zu stoppen.

�Die Opfer der Tschernobyl-Katastrophe ben�tigen weiterhin unsere Hilfe�, ist Clau�en �berzeugt und verweist auf zahlreiche Vereine, die mit IPPNW-�rzten zusammenarbeiten und sich f�r die medizinische und humanit�re Unterst�tzung der Menschen in Wei�russland und in der Ukraine einsetzen. Zu diesen engagierten �rztinnen und �rzten geh�rt Dr. med. Dorothea Wagner-Kolb aus Hamburg, die f�nf Jahre nach der Reaktorkatastrophe den �Freundeskreis Tschernobyl-Kinder� ins Leben rief und 2009 f�r ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt.

�Wir haben jedes Jahr Erholungsferien f�r Kinder aus sozial schwachen Familien organisiert, die in den angrenzenden D�rfern der 30 Kilometer Sperrzone um Tschernobyl leben�, berichtet Wagner-Kolb. Auch wenn diese Kinder nicht an konkreten Erkrankungen leiden w�rden, sei doch h�ufig ihr Immunsystem geschw�cht und sie seien in ihrer Entwicklung zur�ckgeblieben, oder sie h�tten bereits viel seelisches Leid durch den Tod von Eltern oder nahen Verwandten erfahren.

Krebs durch Tschernobyl? Kinderärztin Dr. med. Kerstin Lieber versucht nicht, eine Kausalität herzustellen. Seit 1985 kümmerte sie sich um fast 700 krebskranke Kinder aus Weißrussland. Foto: Manfred Karremann

Krebs durch Tschernobyl? Kinder�rztin Dr. med. Kerstin Lieber versucht nicht, eine Kausalit�t herzustellen. Seit 1985 k�mmerte sie sich um fast 700 krebskranke Kinder aus Wei�russland. Foto: Manfred Karremann

Um krebskranke Kinder in Wei�russland dagegen k�mmert sich seit Jahren Dr. med. Kerstin Lieber, Kinder�rztin und Palliativmedizinerin am Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin. Zur Kinderklinik �Borowjani� bei Minsk, die sie erst vor wenigen Wochen wieder besuchte, hat sie seit Jahren einen engen Kontakt. Sie half den �rztinnen und �rzten vor Ort, die Therapie und medizinische Rehabilitation von Kindern mit Tumoren aufzubauen. In den letzten Jahren 18 Jahren sorgte Lieber auch daf�r, dass mehr als 700 Kinder und Jugendliche in Deutschland operiert oder mit Prothesen versorgt wurden. Die Kosten tr�gt der von Lieber ins Leben gerufene Verein �Hilfe f�r krebskranke Tschernobyl-Kinder e.V.�.

Vereine organisieren und finanzieren die Therapien

Jedes Jahr gehen zwischen 200 000 und 600 000 Euro Spendengelder, haupts�chlich von der Berliner Bev�lkerung, aber auch von �rztlichen Kollegen, auf dem Konto des Vereins ein. �Jeder Euro wird f�r die Versorgung der Kinder verwendet�, versichert Lieber. Die Verwaltung werde ehrenamtlich erledigt. W�hrend fr�her ein gro�er Teil der Spenden in den Aufbau der Versorgung vor Ort und in die Ausbildung der wei�russischen Kollegen investiert wurde, werden heute die Gelder fast ausschlie�lich f�r die Therapie der krebskranken Kinder und Tumorendoprothesen verwendet. �Wenn unsere wei�russischen Kollegen sich mit der Therapie einiger Kinder �berfordert f�hlen, schicken sie die Kinder mit ihren M�ttern zu uns nach Deutschland. Wir nehmen dann den Kontakt mit Spezialisten auf und organisieren und finanzieren die Behandlung und prothetische Versorgung�, berichtet die Vorsitzende des Vereins. Haupts�chlich handele es sich um Kinder und Jugendliche mit Hirntumoren im Alter von zwei bis 18 Jahren.

Gegr�ndet hat Lieber den Verein vor 18 Jahren. Damals war sie an der Berliner Charit� onkologisch t�tig und betreute ein M�dchen aus der Region um Tschernobyl, das an einem Knochentumor erkrankt war. Der Wunsch, den Betroffenen zu helfen, hat die Mutter von drei Kindern seitdem nicht mehr losgelassen. Der Frage indes, ob eine Verbindung zwischen dem GAU von Tschernobyl und Krebserkrankungen besteht, versucht Lieber nicht mehr nachzugehen.

�Es gibt einfach keine verl�sslichen Zahlen und auch keine Vergleichsdaten�, erkl�rt sie. �Die Abortrate in der Region wurde nicht erfasst, es wurden auch keine Aborte nachuntersucht.� �ber die Gr�nde l�sst sich nur spekulieren: �Die Bev�lkerung der Region um Tschernobyl war von vornherein ein Volk ohne Hoffnung�, ist ihre �berzeugung.

�Vielleicht hat sich keiner um sie bem�ht, weil man die Folgen sowieso nicht h�tte abwenden k�nnen.� Nachweislich hat bei den wei�russischen Kindern nur der Schilddr�senkrebs zugenommen. Er sei etwa 30-mal h�ufiger als vor dem Ungl�ck. Zwar k�nne sie nicht nachweisen, dass ihre Patienten als direkte Folge von Tschernobyl erkrankt seien, das sei ihr aber auch nicht wichtig, sagt Lieber. �Ich m�chte einfach diesen Kindern helfen.�

@Der UN-Bericht im Internet:
www.aerzteblatt.de/11700

K�nstliche und nat�rliche Strahlenbelastung

Die Freisetzung der radioaktiven Stoffe bei einem Reaktorungl�ck hat weitreichende Folgen: Zum einen kommt es zu direkten Strahlensch�den bei den Arbeitern im Kernkraftwerk sowie bei den Einsatzkr�ften. Zum anderen verseuchen die freigesetzten Radioisotope gro�e Gebiete und gelangen damit in Nahrung und Trinkwasser. Dies f�hrt zwar nicht zu unmittelbaren Strahlensch�den, aber es erh�ht die Belastung mit sogenannten Niedrigstrahlen.

Diese entsteht im Wesentlichen nicht durch die Strahlung, die die Radioisotope an die Umgebung abgeben. Da es sich um Alphastrahlung handelt, hat sie nicht nur eine geringe Reichweite (weniger als zwei Meter), sondern kann auch schon durch ein Blatt Papier vollst�ndig abgeschirmt werden. Problematisch ist vor allem die Aufnahme radioaktiven Iods und Caesiums mit der Nahrung. W�hrend Iod durch seine geringe Halbwertszeit von acht Tagen schon nach etwa zwei Monaten abgeklungen ist, verbleibt Caesium sehr viel l�nger als Strahlenquelle im K�rper.

Caesium-137 hat eine Halbwertszeit von mehr als 30 Jahren, so dass es mehrere Jahrhunderte dauert, bis keine Strahlung mehr zu messen ist. Relevanter ist in diesem Fall die biologische Halbwertszeit, denn vom K�rper aufgenommenes Caesium wird nach circa 110 Tagen wieder ausgeschieden. Diese gilt auch f�r die radioaktiven Isotope, so dass beispielsweise Caesium-137 bis zu drei Jahren (circa zehn biologischen Halbwertszeiten) im K�rper verweilt.

Auch wenn �ber die Folgen von Niedrigstrahlen sehr kontrovers diskutiert wird, ist eines klar: Je mehr Strahlung man ausgesetzt ist, desto h�her ist das Krebsrisiko. Jedes Mal, wenn ionisierende Strahlung � wie radioaktive oder R�ntgenstrahlen � auf den K�rper trifft, kann es zu einer Ver�nderung im Erbgut kommen. Wie h�ufig das passiert, h�ngt von der Art der Strahlung ab. Wird man gleichen Mengen radioaktiver und R�ntgenstrahlung ausgesetzt, dann ist beispielsweise die Chance von Erbgutsch�den bei der radioaktiven Strahlung 20-mal h�her. Um die Belastung unabh�ngig von der Strahlungsart anzugeben, hat sich die Einheit Sievert (Sv) etabliert, in der die St�rke der Strahlung und ihre biologische Wirksamkeit verrechnet werden.

Sch�den am Erbgut bedeuten jedoch nicht zwangsweise, dass es zu einer Mutation und damit eventuell zu Krebs kommt, denn die einzelnen Zellen verf�gen �ber entsprechende Reparaturmechanismen. Erst wenn diese versagen, kommt es zu einer Ver�nderung im Erbgut.

Strahlung tritt nicht nur in Zusammenhang mit k�nstlichen Quellen auf. Wir sind auch t�glich nat�rlicher Strahlung ausgesetzt, die durch radioaktive Isotope in der Umwelt oder auch kosmischer Strahlung verursacht wird. In Deutschland liegt diese Belastung bei 2 bis 5 Millisievert (mSv) pro Jahr. Zum Vergleich: Eine R�ntgenuntersuchung liegt bei circa 0,1 mSv, ein Kontinentalflug bei circa 0,02 mSv.

Z�hlt man die k�nstliche und nat�rliche Strahlenbelastung in Deutschland zusammen, dann liegt diese bei circa 4 mSv pro Jahr. Lediglich 0,02 mSv, also nur ein Zweihundertstel der Strahlenbelastung, sind auf die Folgen des Reaktorungl�cks in Tschernobyl zur�ckzuf�hren. Der geringe Anteil k�nstlicher Radioaktivit�t an der Gesamtstrahlenbelastung ist der Grund daf�r, dass die gesundheitlichen Folgen von Niedrigstrahlen nur schwer zu erfassen sind.

Ein Zusammenhang zwischen Strahlenbelastung und Krebserkrankung ist nur in Statistiken zu belegen.

Messgr�ssen und Einheiten

Wenn Atomkerne zerfallen, entstehen verschiedene Arten von Teilchenstrahlung und elektromagnetischer Strahlung, deren Menge, Energieinhalt und biologische Wirksamkeit von Element zu Element, von Strahlungsart zu Strahlungsart unterschiedlich ist. Je nachdem, welche Aussagen �ber das radioaktive Material getroffen werden sollen, verwenden Experten unterschiedliche Messgr��en mit ihren Ma�einheiten.

  • Die Aktivit�t gemessen in Becquerel (Bq) gibt an, wie viele radioaktive Kerne pro Sekunde zerfallen und dabei die sogenannte radioaktive Strahlung erzeugen. Das Becquerel ist recht anschaulich h�rbar, wenn man einen Geigerz�hler oder ein anderes Messger�t f�r Radioaktivit�t verwendet: Ein �Knack� ist ein radioaktiver Zerfall, einmal pro Sekunde bedeutet dies �1 Becquerel�, bei 100 Knacks pro Sekunde sind es �100 Becquerel�.
  • Die Dosis gemessen in Gray (Gy) gibt an, wie viel Energie (in Joule) durch Strahlung pro Kilogramm K�rpergewicht aufgenommen wird.
  • Die �quivalenzdosis wird in Sievert (Sv) gemessen. Sie wird aus der Energie der Strahlung und ihrer biologischen Wirksamkeit, die nach Art der Strahlung variieren kann, berechnet. Da ein Sievert eine relativ gro�e Einheit ist, sprechen Experten von Millisievert (= ein Tausendstel Sievert)
  • Die Dosisleistung gibt an, wie viel Energie pro Zeit (also Leistung) pro Kilogramm aufgenommen wird. Normalerweise ist diese klein und liegt im Bereich von wenigen Tausendstel Sievert (Millisievert) pro Jahr.

Aktuelle Messwerte werden auch als Stundenwerte angegeben. In der Berichterstattung �ber das havarierte Kraftwerk Fukushima in Japan wurde von Werten mit einigen Hundert mSv berichtet, gemeint waren dabei immer mSv/h.

(Quelle: Welt der Physik, herausgegeben von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, dem Bundesforschungsministerium und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt)

Wie weit strahlt ein Atomkraftwerk wenn es explodiert?

10-km-Radius: Die Hälfte der betroffenen Menschen erliegt ihren Verletzungen und Verbrennungen. Viele sterben bald nach der Explosion aufgrund von Bränden und an der Strahlenkrankheit. 80-km-Radius: Radioaktiver Niederschlag verbreitet sich.

Was würde passieren wenn ein Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert?

In der Mehrzahl der Fälle würde der Wind gen Osten wehen und damit eher in Richtung Russland. Das heißt, das Risiko ist relativ gering. Natürlich kann es aber auch passieren, dass bei einer Freisetzung der Wind so steht, dass kontaminierte Luft nach Deutschland käme.

Was passiert wenn ein Atomunfall passiert?

Bei einem Atomunfall wird unkontrolliert radioaktive Strahlung freigesetzt und so die Umwelt kontaminiert. Kommt es zu einem schwerwiegenden Unfall, spricht man von einem Super-GAU (GAU = größter anzunehmender Unfall) . In Folge kann die radioaktive Kontamination zu schweren Umwelt- und Gesundheitsschäden führen.

Was passiert in Deutschland wenn Atomkraftwerk in Ukraine explodiert?

Selbst bei einem erheblichen Austritt von Radioaktivität im größten ukrainischen Atomkraftwerk müsste die deutsche Bevölkerung keine weitreichenden Folgen befürchten. Das Bundesamtes für Strahlenschutz gibt Entwarnung.