Was tun wenn Kind sich nicht eingewöhnen lässt?

Traumatische Erfahrungen der Eltern

Auch bei den Bezugs­per­so­nen, die ihr Kind gera­de ein­ge­wöh­nen, kön­nen trau­ma­ti­sche Ereig­nis­se reak­ti­viert wer­den, die stark mit eige­nen unver­ar­bei­te­ten Tren­nungs­er­fah­run­gen in Ver­bin­dung ste­hen. Viel­leicht hat die Mut­ter die Geburt als trau­ma­tisch erlebt, weil es etwa wäh­rend der Geburt zu einem Not­kai­ser­schnitt kam und Mut­ter und Kind nach der Geburt auf­grund von medi­zi­ni­schen Ein­grif­fen von­ein­an­der getrennt wor­den sind. Es bleibt ein Ohn­machts­ge­fühl zurück: Für die Mut­ter war es eine trau­ma­ti­sche Erfah­rung, dass ihr das Kind weg­ge­nom­men wur­de. Es kön­nen aber auch ganz alte trau­ma­ti­sche Erfah­run­gen aus der eige­nen Kind­heit der Bezugs­per­son reak­ti­viert wer­den. Dies könn­te ein Kran­ken­halts­auf­ent­halt der Mut­ter sein, die Tren­nung der Eltern oder das Gefühl, emo­tio­nal von den Eltern getrennt zu sein, da die­se viel­leicht für das Kind nicht ver­füg­bar waren, etwa auf­grund einer Depres­si­on, oder eige­ner Flucht­er­fah­rung. Aber auch die eige­ne Erin­ne­rung an den Start in den Kin­der­gar­ten ohne Ein­ge­wöh­nung als Kind kann re-trau­ma­ti­sie­rend wirken.

All die­se Erfah­run­gen kön­nen an die inne­re Not von damals anknüp­fen und die glei­chen star­ken Gefüh­le reak­ti­vie­ren, so dass die Bezugs­per­son im Not­mo­dus ist, und die Ein­ge­wöh­nungs­si­tua­ti­on nicht ohne pro­fes­sio­nel­le Hil­fe bewäl­ti­gen kann. Wäh­rend des Ein­ge­wöh­nungs­pro­zes­ses zeigt sich uner­war­tet das eige­ne ver­letz­te inne­re Kind. Das Gefühl, zum Bei­spiel damals allein gelas­sen wor­den zu sein, wird jetzt stark reak­ti­viert und macht es unmög­lich, das eige­ne Kind zurück­zu­las­sen – auch wenn es nun um eine ande­re Situa­ti­on geht und das eige­ne Kind die Tren­nung wahr­schein­lich gar nicht als trau­ma­tisch erle­ben wür­de, wenn es fein­füh­lig ein­ge­wöhnt wird. Den­noch sind die Gefüh­le des inne­ren Kin­des des Erwach­se­nen so stark, dass sie nun viel­leicht auf das Kind pro­ji­ziert werden.

Wenn päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te die­se Hin­ter­grün­de erken­nen, kön­nen sie bes­ser nach­voll­zie­hen, war­um es man­chen Eltern sehr schwer­fällt sich nach den ers­ten Pha­sen des gemein­sa­men Ankom­mens und Ken­nen­ler­nens, lang­sam und vor­sich­tig zurück­zu­zie­hen. Wenn die Bezugs­per­son Pro­ble­me hat, den Kon­takt ihres Kin­des zu der päd­ago­gi­schen Fach­kraft zuzu­las­sen, obwohl sie sieht, dass die Erzie­he­rin fein­füh­lig auf die Bedürf­nis­se ihres Kin­des ein­geht und pas­sen­de Spiel­an­ge­bo­te macht, kann es gut sein, dass noch ein unge­lös­tes Trau­ma der Bezugs­per­son selbst im Raum steht. Wenn es ihr schwer­fällt, den Kon­takt­auf­bau zuzu­las­sen, ist es mög­lich, dass sie immer dann dazwi­schen geht, wenn das Kind gera­de auf ein Inter­ak­ti­ons­an­ge­bot der Fach­kraft ein­ge­hen möch­te. Hier ist ein offe­nes Gespräch mit den Eltern sehr wich­tig, um gemein­sam sen­si­bel die Hin­ter­grün­de aus­fin­dig zu machen und zu schau­en, was die Mut­ter bezie­hungs­wei­se der Vater bräuch­te, um der päd­ago­gi­schen Fach­kraft ver­trau­en und sich im eige­nen Tem­po von ihrem Kind lösen zu kön­nen. Auch hier soll­te dar­auf geach­tet wer­den, der Bezugs­per­son viel Ver­ständ­nis und Empa­thie ent­ge­gen­zu­brin­gen und nicht das Gefühl zu ver­mit­teln, dass sie das „Pro­blem“ dar­stellt. Wenn sich die Bezugs­per­son ver­stan­den fühlt, ist die Chan­ce höher, dass sie sich öff­net und erzählt, wel­che Erfah­run­gen gera­de in ihr hoch­kom­men und ihr das Los­las­sen erschwe­ren. 

Oft hilft es der Bezugs­per­son schon, sich über den Zusam­men­hang bewusst zu wer­den und eine empa­thi­sche Reak­ti­on der päd­ago­gi­schen Fach­kraft dar­auf zu erhal­ten. Wenn sehr viel auf­ge­bro­chen wird, das die päd­ago­gi­sche Fach­kraft nicht allein hal­ten kann, wäre eine exter­ne, bei­spiels­wei­se the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung sehr hilf­reich, wenn sich die Eltern dar­auf ein­las­sen kön­nen. Dann müs­sen erst mal eige­ne The­men geklärt wer­den, bevor dem Kind wäh­rend der Ein­ge­wöh­nung ein­deu­ti­ge Signa­le geschickt wer­den kön­nen. Wäh­rend eines sol­chen Pro­zes­ses kann auch her­aus­kom­men, dass das Eltern­teil noch gar nicht bereit für eine Fremd­be­treu­ung ist, auch das ist voll­kom­men in Ord­nung und ent­las­tet alle Betei­lig­ten durch eine Klä­rung. Schwie­rig ist es, wenn ein Eltern­teil dem Kind Dou­ble-bind-Bot­schaf­ten sen­det, wie: Ich brin­ge dich zur Kita, aber eigent­lich möch­te ich dich gar nicht hier­las­sen. Das ist für Kin­der des­halb schwie­rig, weil sie füh­len, dass ihre Eltern nicht authen­tisch sind. Sie mer­ken, dass etwas nicht stimmt und reagie­ren natür­lich dar­auf. Erst wenn die Eltern wirk­lich bereit sind, sich für ein paar Stun­den von ihrem Kind zu tren­nen und dabei kein schlech­tes Gewis­sen haben, kann sich auch das Kind bei der Tages­mut­ter, in der Krip­pe oder Kita rich­tig wohl­füh­len. Des­halb ist so wich­tig, dass Eltern lie­be­voll hin­schau­en dür­fen, was es ihnen schwer macht und was bei­spiels­wei­se die­ses schlech­te Gewis­sen in ihnen aus­löst. Wenn The­men offen ange­spro­chen wer­den, kön­nen sich häu­fig auch die Gefüh­le zei­gen, die dahin­ter ver­bor­gen lagen. Wer­den die Gefüh­le nicht mehr weg­ge­drückt, son­dern ange­nom­men und inte­griert, lösen sich häu­fig auch die The­men auf und die Eltern spü­ren eine gro­ße Ent­las­tung. Sind die The­men zu groß, um im päd­ago­gi­schen All­tag auf­ge­fan­gen wer­den zu kön­nen, emp­fiehlt sich exter­ne Unterstützung.

Es gibt natür­lich auch ande­re Grün­de dafür, wenn Ein­ge­wöh­nun­gen nicht gelin­gen wol­len, z.B. weil der Stress bei dem Eltern­teil (der Arbeit­ge­ber macht Druck) oder der päd­ago­gi­schen Fach­kraft (z.B. auf­grund von zu schlech­ten Rah­men­be­din­gun­gen) zu hoch ist und das Kind dadurch spürt, dass etwas nicht stimmt.

Durch Wahr­neh­men­des Beob­ach­ten kann die päd­ago­gi­sche Fach­kraft den Ein­ge­wöh­nungs­ver­lauf sen­si­tiv respon­siv (Rem­sper­ger 2011) beglei­ten und auf Situa­tio­nen zeit­nah ein­ge­hen, in denen sie erkennt, dass das Kind oder das Eltern­teil Schwie­rig­kei­ten hat, Kon­takt zu ihr oder den ande­ren Kin­dern auf­zu­neh­men und gege­be­nen­falls ein trau­ma­ti­sches Ereig­nis reak­ti­viert ist. Sie weiß, dass hier beson­de­re Sen­si­bi­li­tät und Unter­stüt­zung gefragt ist. Falls die Fach­kraft merkt, dass sie selbst Unver­ar­bei­te­tes rund um das The­ma Tren­nung hat, holt sie sich auch selbst Unter­stüt­zung – bei einer ver­trau­ten Kol­le­gin, in einem wert­schät­zen­den Team, aber auch durch exter­ne Spe­zia­lis­ten wie einen Super­vi­sor oder einer Traumatherapeutin.

Die­ser Arti­kel wur­de im Sep­tem­ber 2021 veröffentlicht:

Alemzadeh, M. (2021). Die Trä­nen der Ver­gan­gen­heit. TPS Theo­rie und Pra­xis der Sozi­al­päd­ago­gik, Traum­a­päd­ago­gik. Heft 9/21. S. 40–43.

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Wann muss man die Eingewöhnung abbrechen?

Einen Abbruch der Eingewöhnung sollten Eltern nur erwägen, wenn die Zusammenarbeit mit den Erziehern nicht funktioniert oder äußere Umstände das Kind ungewöhnlich stark belasten.

Wie lange Kind weinen lassen bei Eingewöhnung?

Die meisten Kinder brauchen dafür zwei bis drei Wochen. Wenn es sehr lange dauert, liegt es vielleicht gar nicht an den Kindern, sondern daran, dass die Eltern sich zu viele Sorgen machen - und diese Unsicherheit überträgt sich wiederum auf den Nachwuchs.

Was tun wenn Kind bei Eingewöhnung weint?

Eltern sollten ihre Kinder so lange begleiten können wie nötig und Tränen ihrer Kinder auch zulassen. Wenn Kinder während der Eingewöhnung weinen (und das kommt bei fast jedem Kind irgendwann vor), dann fühlt euch nicht schlecht, habt kein schlechtes Gewissen, denn ihr begleitet euer Kind entweder davor oder danach.

Kann Eingewöhnung scheitern?

Eine Woche oder höchstens zwei, dann wird sich der Nachwuchs schon eingelebt haben und wenn nicht, sind sicherlich die Erzieher:innen schuld. Dass aber eine Eingewöhnung erstens länger andauern und zweitens holpriger sein kann als gedacht, wird gerne verdrängt oder – besser gesagt – auch mal schlicht überhört.