Wie du mir, so ich dir bibelstelle


Biografie: Als Bibel bezeichnen das Judentum und das Christentum je eigene Sammlungen von Schriften, die als Heilige Schriften Urkunden ihres Glaubens sind. Es handelt sich um zwei Zusammenstellungen von „Büchern“ aus dem Kulturraum der Levante und dem Vorderen Orient, die im Verlauf von etwa 1200 Jahren entstanden sind und zuerst von Juden, dann auch von Christen kanonisiert wurden.

„Das geht nicht gut“, sagte meine Mutter immer. „Wer so durchs Leben gehen will, der hat vielleicht manchmal eine innere Genugtuung, aber nichts wird dadurch besser und von der Botschaft Gottes hat ein solcher Mensch überhaupt nichts verstanden.“

Ich habe in meiner Kinderzeit genau deshalb oft mit meiner Mutter gehadert. Schließlich habe ich zwei größere Geschwister und wer selbst mit Bruder und/oder Schwester aufgewachsen ist, weiß, wie schnell gerade da diese Regel Alltag wird: Wie du mir, so ich dir! Und wer zurückbekommt, was sie oder er anderen an Quälereien zufügt, der begreift relativ schnell: Das kann verdammt weh tun.

Wie du mir – so ich dir: Das ist ja nun nicht etwas, was der Bibel fremd wäre. Deshalb habe ich da auch oft mit meiner Mutter im Clinch gelegen. Da wird ja auch auf vielen Seiten Gleiches mit Gleichem vergolten. Und dass dies zunächst einmal gut war, das habe ich erst später richtig begriffen. Denn es war so besser, als es vorher war. Davor galt nämlich der Satz: Wie du mir, so ich dir erst recht und noch eins oben drauf! Ein Satz, der in den Gesellschaften, in denen noch heute die Blutrache geübt wird, immer noch gilt. Erst mit dem Gedanken: Gleiches ist nur mit Gleichem zu vergelten und eben nicht mit noch höheren Strafen, heftigeren Reaktionen oder auch schlimmeren Taten, zog ein Rechtsgrundsatz in das Denken des alttestamentlichen Menschen ein: Der Grundsatz der Vergleichbarkeit von Taten.

Konkret heißt das, es wird auf diese Art und Weise der Schadensersatz in der biblischen Rechtsprechung geregelt. In dem viel zitierten Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (siehe das zweite Buch Mose) wird das deutlich. Ein Schaden, den jemand an seinem Besitz oder mehr noch an seinem Körper erlitten hat, ist so zu regeln, dass man nicht mehr an Ausgleich einfordert als tatsächlich an Schaden entstanden war. Gleiches wird mit Gleichem vergolten, aber danach ist der Fall ein für alle Mal abgeschlossen und erledigt. Was mit diesem Rechtsgrundsatz erreicht werden konnte? Dass keine Eskalation mehr eingetreten ist. Eben nicht noch eins drauf, nicht noch mehr oder noch schärfer und auch nicht aggressiver, sondern Gleiches mit Gleichem.

Nun kommt es aber oft vor, dass Leute ganz empört über dieses „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ sind. Vielen Leuten gilt dies als ein boshafter und ungerechter, unversöhnlicher und rachsüchtiger Gedanke und eben nicht als Rechtsgrundsatz. Sicherlich: Ich geb‘ durchaus zu, dass ich das auch nicht als das Nonplusultra sehe, wenn nur mit gleicher Münze heimgezahlt wird, was man einem anderen angetan hat. Aber ist es nicht oft scheinheilig, wenn dieser Satz in der Absicht zitiert wird, andere der boshaften und ungerechten Rachsucht zu bezichtigen? Dass Menschen Gleiches mit Gleichem vergelten, das lässt sich zuallererst an einem selbst am besten beobachten und man muss da nicht nach anderen schauen. Denn nur allzu oft verhalten wir uns doch genau nach diesem Grundsatz: Wie du mir, so ich dir. Das klingt zwar netter, meint aber nichts anderes. 

Nun zitiert Jesus diesen Satz „Auge um Auge…“ auch in der Bergpredigt – und weist ihn zurück. Jesus sagt: Man soll nicht nur darauf verzichten, dass einem Gleiches mit Gleichem vergolten wird, sondern man soll auch noch die andere Wange hinhalten. Man soll also dem, der einen angreift und der einem Böses will, mit offenem Visier begegnen, ohne zurückschlagen zu wollen. Was für eine Botschaft! Kann man es mit der Güte nicht auch ein wenig übertreiben? Aber der Gedanke Jesu leuchtet durchaus ein: Denn nur so lässt sich der Kreislauf oder gar die Spirale des Bösen durchbrechen – indem man auch auf das verzichtet, was schon die erste Stufe der De-Eskalation war: Gleiches um Gleiches.

Bleibt die Frage: Wie kann das gehen? Es ist doch ein völlig weltfremder Gedanke. Und mir ist auch klar, dass nur ganz wenige den Anspruch erheben können, auch wirklich so zu leben. Nur – selbst wenn es schwerfällt, ich sollte diese Botschaft nicht handzahm und passend für mich und meine begrenzten Möglichkeiten machen, sondern sie so hören, dass sie für mich einen Klang ausübt, der mich immer wieder neu in seinen Bann zieht. Und da höre ich dann eben: Mach es nicht wie die anderen. Sag nicht von vornherein: Das geht nicht! Zwing Gottes Güte nicht in deine Maßstäbe und beuge nicht die Größe der Liebe unter deine Schwachheit. Orientiere dich vielmehr an der Güte, der Vergebung, der Großherzigkeit wie an etwas, das deinen Blick hebt und für die Mitmenschen schärft.

Wo Menschen in der Nachfolge Jesu so leben, tragen sie dazu bei, dass die Welt ein bisschen heller und heiler wird. Wenn wir in diesen Tagen „Allerheiligen“ feiern, dann finde ich an diesem Fest schön, dass wir an diesem Tag nicht nur der Heiligen gedenken, die im Kalender verzeichnet sind und von denen man erwarten darf, dass sie nach dem Vorbild Jesu lebten. Nein, an Allerheiligen wird auch der vielen Heiligen gedacht, um deren Heiligkeit niemand weiß als Gott selbst. Zum Beispiel auch all derer, die dem Ruf Jesu folgen und nicht dem: „Wie du mir, so ich dir“.

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