Sigi Schwärzler * 1954 in Dornbirn, Unteroffizier beim Österreichischen Bundesheer, seit 2017 im Ruhestand – zahlreiche Spezialverwendungen, Jagdkommando, Heeresschilehrer- und Bergführer. Lokalhistoriker mit Schwerpunktthemen von Randkulturen im Vorarlberger Raum. März 2020 Das Land der Schmuggler und Schwärz(l)er: Teil zwei der Trilogie berichtet von selbstbewussten Lustenauern und verachteten Mautbettlern. Kreishauptmann Ebner schrieb einst, dass „Beschwerden über Ehrenbeleidigungen und Exzesse aller Art, Raufhändel, Nachtschwärmerei, Saufgelage, Unsittlichkeiten, schwere Polizeiübertretungen und Verbrechen nirgends häufiger“ vorkämen als in Lustenau. Eine alte „Zöllnerkultur“ gibt es in den Grenzdörfern entlang des Rheins
aufgrund der nahen Schweizer Grenze, da das Schmuggeln zum Alltag gehörte. Nicht zuletzt als in den früheren Hungerjahren sowie in der Zwischenkriegszeit laut einer Anweisung des Kreisamtes von 1817 die „Einschwärzung“ verbotener Waren, aber ebenso die „Ausschwärzung“ von lebenswichtigen Dingen, die man im Land behalten wollte, wie zum Beispiel Kartoffeln, Butter, Käse und Eier verboten wurde. Ein Zollamt in Lustenau gibt es schon seit 1796. Geschmuggelt wurden Zucker, Saccharin, Tabak und
Kaffee. Der Tabakschmuggel im großen Stil begann um 1800, als der Staat ein Tabakmonopol verfügte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden vermehrt Zigarren geschmuggelt, Virginias und Brissagos. Die Schmuggler wussten, dass sie in den Gasthäusern dankbare Abnehmer ihrer über die Joche und über den Rhein geschmuggelten Waren fanden. Die Schmuggler waren meist Weltkriegsteilnehmer. Sie kannten keinen „Schiss“. Durch ihre Ausbildung an Waffen und ihre Erlebnisse im Krieg waren sie eher bereit, bei
Schwierigkeiten mit den Grenzern den Kampf aufzunehmen. Zu den wichtigsten Strategien gehörte schlicht und einfach der Grundsatz: „Je näher beim Zollamt man schmuggelt, desto sicherer war man.“ Der geschickte Schmuggler braucht Mut, die Nähe der Zöllner zu suchen, um sich als unverdächtig darzustellen. Er wusste, die Bevölkerung war auf seiner Seite, denn für die Grenzbevölkerung war „der Zöllner“ ein überflüssiger Nichtstuer, der sich seine verwerfliche Tätigkeit noch dazu mit Geld der
Steuerzahler bezahlen ließ und ansonsten nur eine Belästigung darstellte. Selbstbewusste Lustenauer und verachtete MautbettlerLandrichter Seewald erstattete am 17. Juni 1829 an das Kreisamt in Bregenz einen Stimmungsbericht über bedrohliche Spannungen zwischen Lustenauern und dem fremden österreichischen Zoll- oder Mautpersonal. Folgendes hatte sich zugetragen. Am Pfingstmontag wurde der singende Traubenwirtsohn Johann Hämmerle von zwei Grenzjägern zur Ruhe aufgefordert und nach seiner Weigerung mit einem Säbelhieb am Kopf verletzt. Einer der Mautner wurde von herbeigelaufenen Bauernburschen
entwaffnet und festgehalten. Der andere holte zur Unterstützung zwei weitere Kordonjäger herbei, dann umstellten sie die Burschen mit aufgesetzten Bajonetten und drohten, wenn man den Mautner nicht sogleich freigebe, kommandiere der Chef:„Feuer!“. „Wenn sich die Zöllner weiter so benähmen und den jungen Burschen verbieten wollten, zu singen, zu pfeifen und mit der Peitsche zu knallen, bleibe sicher bald einer tot“, erklärten die rechtschaffenen Gemeindemänner ihrem Landrichter. Alle Zöllner, die
bis dahin in Lustenau gedient hatten und an andere Orte versetzt worden waren, beschwerten sich bitter darüber, dass das gemeine Volk sich dort äußerst impertinent gegen sie auflehne, sie ins Angesicht „Mautbettler“ schimpfe, öfters mutwillig die Fenster im Zollhaus einschlage, nachts mit Steinen auf sie werfe und ihnen alles Mögliche „zum Possen und zur Verachtung“ tue, sodass es auch dem allergelassensten Mautner unmöglich sei, ein solches Benehmen ungerügt zu ertragen. Rohstoffmangel mit zunehmender Dauer des Ersten WeltkriegesWährend des Krieges hatte die Schmuggeltätigkeit erheblich zugenommen. Je länger der Krieg dauerte, desto stärker machte sich in Österreich die Knappheit verschiedenster lebensnotwendiger Waren bemerkbar. Infolge dieser Notlage hat der österreichische Staat verschiedene Waren, die in der Schweiz Ausfuhrverboten unterlagen, nach deren Einschmuggelung übernommen. In den
Nachtstunden haben sich Schmuggler solcher Waren bei einem Zollamt gemeldet. Die Schweizer Grenzwacht ging sehr rigoros gegen diese Schmuggler vor und schoss häufig scharf. Leonhard Grässli, Schweizer Zöllner, beschreibt in seinem Buch „Grenzwächter und Zöllner, Erlebtes 1893–1971“ über Grenzerfahrungen in zwei Weltkriegen. 1917 in Rorschach im Grenzdienst eingesetzt, wird ihm bewusst, dass überall an der Grenze geschmuggelt wird. Und auch in Rorschach wird nicht lange gezaudert, wie er bemerkt.
Bereits im geringsten Zweifelsfall wird geschossen. Und sei es auch nur Nächtens, wie in Castasegnas Kastanienwäldern auf das Licht von Leuchtkäfern, die auf das gebotene Halt der staatlichen Autorität nicht reagieren. Im selben Jahr wird Grässli zur Verstärkung nach Sevelen versetzt, da dort der Schmuggel über den Rhein weniger aufwändig ist als über den weiten Bodensee. Über das Zollamt Sevelen erfolgt nur geringer Personenverkehr nach Liechtenstein, das sich zu der Zeit noch unter
Zollanschluss zu Österreich befindet. Zwischen der Schweiz und Liechtenstein blüht deshalb der Schmuggel. Fünf Grenzwächter, drei Heerespolizisten und Soldaten kämpfen dagegen an. Die österreichischen Zöllner kaufen im Auftrag des Staatsamtes für Heereswesen Nähfaden und Gummiartikel von den Schmugglern, da hieran in Österreich großer Mangel herrscht, unter dem insbesondere Frauen und die Uniformindustrie stark leiden. Warenausfuhrverbot im kleinen GrenzverkehrZucker, ein österreichisches Staatsmonopol, war bei Kriegsende nicht mehr zu erhalten. Große Gewinne ließen sich schon lang zuvor mit Saccharin erzielen, einem Süßstoff, der seit 1886 industriell hergestellt werden konnte und einen höheren Süßigkeitsgehalt als Zucker besaß. Er war wegen der Kleinheit des Produktes bei Kontrollen kaum auffindbar und als Schmuggelgut so
lukrativ, dass „(…) ihm ganze Familien ihren Wohlstand verdanken.“ Begehrte, teure Nahrungs- und GenussmittelKaffee war für viele das wichtigste und einträglichste Schmuggelgut. Grün musste er sein, also ungebrannt, ansonsten hätten die Grenzwächter sofort den Kaffee gerochen. Man brachte den Kaffee in großen
Säcken zu den vereinbarten und vertrauten Garagen, Kellern oder Hütten in der Schweiz, wo er in kleinere, jeweils dreißig Kilo schwere Einheiten und Rucksäcke aufgeteilt wurde. So ging’s dann los, in einer mondlosen Nacht, mit geschwärzten Gesichtern und in dunkler Kleidung. Zu zweit oder zu dritt wurde aufgebrochen, mit großen Abständen. Und während einer voranging, verbargen sich die anderen. So war jedenfalls nicht alles verloren, sollte einer gefasst werden. Schmuggeln rentierte sich! In
einer einzigen Nacht verdiente Sepp Alge, ein Urgestein unter den Schmugglern, einmal vierhundert Schilling. Als Geselle hatte er einen Monatslohn von nicht einmal sechshundert Schilling. Zahlreiche Mädchen, welche in der Schweiz Arbeit gefunden hatten, brachten in den Absätzen ihrer Schuhe, im Rahmen ihres Fahrrades und in anderen möglichen und unmöglichen Verstecken Waren nach Lustenau. Und ebenso wie in noch früheren Zeiten die Wilderer, so genossen auch die Schmugglerinnen und Schmuggler in
weiten Kreisen der armen Bevölkerung hohes Ansehen. Die Texte stammen aus dem Buch „Grenzfieber. Land der Schmuggler und Schwärz(l)er“ Sigi Schwärzler, Eigenverlag 2018 0% 0% |