Wie viele pflanzen gibt es auf der welt

Pro Jahr werden 15 000 Arten beschrieben. In diesem Tempo dauert es noch 480 Jahre zum vollständigen Katalogisieren

Die Zahl der Spezies in den Klassen, Ordnungen und Familien folgt Mustern. Das ermöglicht eine Abschätzung

Was würden Außerirdische von uns wissen wollen, sollten sie jemals die Galaxis durchqueren und auf unseren Planeten treffen? Eine ihrer Fragen wäre vielleicht: "Wie viele unterschiedlichen Lebensformen gibt es auf der Erde?" Was würden wir antworten? "Wir wissen es nicht." Es gibt keine genauen Zahlen, und auch Schätzungen zeigen die unterschiedlichsten Werte. Je nach Wissenschaftler reichen sie von drei Millionen bis hin zu über 100 Millionen Arten. Prokaryoten, wie etwa Bakterien, sind in diesen Zahlen noch nicht einmal mit eingerechnet.

Jetzt haben Forscher der verschiedensten Disziplinen und Universitäten eine neue Methode vorgestellt, mit der sich die Anzahl der Arten genauer schätzen lässt. 8,7 Millionen sollen es nun sein, plus minus 1,3 Millionen. Davon leben 6,5 Millionen Arten auf dem Land, die restlichen 2,2 Millionen haben das Wasser zu ihrem Lebensraum gemacht.

Zustande kommen diese Zahlen durch eine Hochrechnung. Jede neu entdeckte Art wird von Forschern weltweit taxonomisch genau eingeteilt. Dabei wird das 1758 von Carl von Linné entwickelte Klassifizierungssystem benutzt, das alle Lebewesen systematisch nach Art, Gattung, Familie, Ordnung, Klasse, Stamm und Reich erfasst. Zudem gibt es jeweils auch Unterkategorien. Der Haushund zum Beispiel ist eine Unterart des Wolfes ( lupus ), der zur Gattung canis gehört.

Eine Art wird dadurch gekennzeichnet, dass sich ihre Mitglieder untereinander fortpflanzen können, aber nicht mit anderen Arten. Ein Beispiel ist das unfruchtbare Maultier, der Abkömmling eines Pferdes und eines Esels, die zur gleichen Gattung, nicht aber zur gleichen Art gehören. Nach Carl von Linnés System werden die Lebewesen auch benannt. Dabei steht der "Vorname" für die Gattung, der Beiname für die Art.

Die Wissenschaftler um Camilo Mora von der University of Hawaii haben sich dieses System nun zunutze gemacht, um daran die Gesamtzahl aller Arten auszurechnen. Mora erklärt das System mit einem Beispiel aus der Computerwelt: "Sie haben eine Menge neuer Dateien, die Sie in einen Ordner stecken. Dieser Ordner ist in einem anderen Ordner, der ähnliche Dateien enthält. Und so geht es weiter, bis man seine Sammlung vervollständigt hat. Wir haben nun entdeckt, dass man - wenn man die Gesamtzahl der Ordner in diesem Archiv weiß - die genaue Anzahl aller Dateien im Archiv voraussagen kann."

Die Wissenschaftler haben sich nun zwei Eigenschaften dieses Systems zunutze gemacht: Erstens sind die oberen Kategorien des Linnéschen Systems wie etwa Klasse und Reich viel vollständiger beschrieben als die unteren Level. Zweitens bemerkten die Forscher, dass die Anzahl der Arten, die jeweils Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung und Art zugeordnet sind, konstanten Mustern folgen. Wenn man daher davon ausgeht, dass diese Muster auch auf weniger erforschte Gruppen von Lebewesen zutreffen, kann man anhand der schon bekannten Informationen über Stamm und Klasse die Gesamtzahl der Arten innerhalb einer Gruppe schätzen. Um die Ergebnisse zu überprüfen, testeten die Wissenschaftler die Methode an kleineren, bereits sehr gut erforschten Klassifizierungsgruppen wie zum Beispiel Fische oder Säugetiere.

Mithilfe der neuen Vorgehensweise, die jetzt im Online-Fachjournal "PLoS Biology" publiziert wurde, sind Camilo Mora und sein Team auf diese große Zahl gekommen: 8,7 Millionen Arten weltweit. Das heißt nicht, dass diese alle schon von Menschen entdeckt worden sind, ganz im Gegenteil. Rund 86 Prozent der Arten an Land und 91 Prozent der im Wasser lebenden Arten sind demnach noch nicht entdeckt, beschrieben und katalogisiert. Manchem mögen diese 8,7 Millionen Arten wenig vorkommen, wenn man an all die verschiedenen Insekten, Algen und Mikroorganismen denkt, die sich auf diesem Planeten tummeln. Jedoch geht es im Forschungsprojekt von Camilo Mora und seinen Kollegen nur um Arten, nicht aber um Unterarten oder Rassen.

In den 253 Jahren seit der Veröffentlichung von Carl von Linnés taxonomischen System sind etwa 1,25 Millionen Arten beschrieben und in eine zentrale Datenbank eingegeben worden. Jedes Jahr sind es ungefähr 15 000 mehr. Man geht davon aus, dass weitere 700 000 Arten zwar schon beschrieben wurden, die Details aber die Datenbanken noch nicht erreicht haben. Wenn man in diesem Tempo weitermachen würde, bräuchte man etwa 480 Jahre, um mit dem Katalogisieren fertig zu werden. Ein Taxonom, also ein Systematiker, beschreibt in seiner ganzen Arbeitslaufbahn durchschnittlich etwa 25 Arten. Die Beschreibung einer einzigen Art ist mit Kosten von 34 000 Euro verbunden. Als Unterstützung engagieren Forscher inzwischen schon Parataxonomen. Das sind Einheimische in Forschungsgebieten, die in Grundtechniken, wie man neue Arten erkennt und beschreibt, geschult werden, um den Wissenschaftlern vor Ort Arbeit abzunehmen.

In Zukunft wird vermutlich auch vermehrt die "Barcode"-Klassifizierung benutzt, bei der der genetische Code von Lebewesen in Form eines Strichcodes abgebildet wird. In nicht allzu ferner Zukunft könnte es kleine portable Geräte geben, mit Hilfe derer man einen schnellen DNA-Test zur Artenbestimmung durchführen könnte. Das würde die Arbeit der Systematiker enorm erleichtern.

Dass die Erforschung neuer Arten nur schleppend vorangeht, führt auch dazu, dass manche Arten vielleicht schon vom Aussterben bedroht sind, oder gar nicht mehr existieren, bevor sie überhaupt entdeckt werden. Selbst die Internationale Naturschutzunion (IUCN) beobachtet nur etwa 60 000 Arten. Fast 20 000 davon stehen auf der "Roten Liste" - das sind weniger als ein Prozent aller Arten, wenn man die Zahlen von Camilo Mora als Ausgangspunkt nimmt. Im Jahr 2008 schätzte der World Wide Fund for Nature (WWF), dass die Artenvielfalt auf der Erde zwischen 1970 und 2005 um 27 Prozent gesunken ist. Zwar hatte die Europäische Union lange Zeit geplant, das Artensterben in Europa bis 2010 zu stoppen, dies wurde letztes Jahr aber dahin gehend verändert, dass man nun nur noch plant, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2020 zu halbieren.

Seit 200 000 Jahren leben Menschen als Homo sapiens auf diesem Planeten, und doch weiß er kaum etwas über die Vielfalt der anderen Lebewesen, die sich die Erde mit ihm teilen. Der Zoologe Lord Robert May von der University of Oxford schreibt dazu: "Es ist ein bemerkenswertes Zeugnis unseres Narzissmus, wenn wir wissen, dass am 1. Februar 2011 11 194 656 Bücher in der Nationalbibliothek des US-Kongresses standen, ich Ihnen aber nicht sagen kann, mit wie vielen unterschiedliche Pflanzen- und Tierarten wir unsere Welt teilen."

Warum also sollten wir wissen, wie viele Arten auf diesem Planeten existieren? "Die Menschheit hat sich dazu verpflichtet, Arten vor dem Aussterben zu bewahren, aber bis jetzt wussten wir kaum, wie viele es überhaupt gibt", erklärt Boris Worm. Manche Kritiker mögen wohl anmerken, dass das Aussterben von Arten vielen Menschen egal ist. Doch laut einer Umfrage des Eurobarometers fühlen sich 90 Prozent der Europäer verpflichtet, die biologische Vielfalt zu erhalten - das zeigt, wie sehr der Artenschutz den Bürgern am Herzen liegt.

Neue Arten können viele Vorteile für die Menschheit haben, wie die Vergangenheit bewiesen hat. Viele Inhaltsstoffe von Pflanzen und Sekrete von Tieren können eine medizinische Wirkung haben, von der wir heute noch gar nichts ahnen. Der Saft des Ginkgobaumes beispielsweise kann Gedächtnisverlust entgegenwirken. In den 80er-Jahren wurden die Magenbrüterfrösche entdeckt, deren Jungen im Magen der Mutter reifen. Wissenschaftler freuten sich schon, aus diesem Wissen vielleicht Mittel gegen Magengeschwüre zu entwickeln. Doch bereits ein Jahr nach der Entdeckung galt der Frosch als ausgestorben - eine verpasste Chance. Um solche Möglichkeiten in Zukunft nicht durch verfrühtes Artensterben zu verlieren, ist es wichtig, die Lebewesen der Welt ausreichend zu erforschen.

Dass die taxonomische Forschung auch wirtschaftliche Vorteile hat, zeigt ein Beispiel aus den 70er-Jahren: Der Chinese Yuan Longping entdeckte eine neue Reissorte, die, mit herkömmlichem Reis gekreuzt, 30 Prozent mehr Ertrag einbrachte. Seitdem werden alle wilden Reissorten geschützt, was natürlich nur möglich ist, wenn man sie überhaupt schon kennt. Es wird sich zeigen, ob die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bewirken, dass die kommenden Jahre zu einem Zeitalter der Entdeckungen werden - oder zum Zeitalter des (eigentlich verhinderbaren) Artensterbens.

Wie viele Arten gibt es weltweit?

Naturwissenschaftler schätzen, dass es auf unserem Planeten 5 bis 80 Millionen Tierarten gibt – wir kennen aber nur etwa eine Million Arten. In den Baumkronen tropischer Wälder oder auch tief im Meer finden Wissenschaftler immer wieder neue Lebewesen. Die Vielfalt ist kaum vorstellbar.

Wie viele Pflanzen gibt es im Meer?

Aus den Meeren sind zwischen 240.000 und 330.000 Arten bekannt (Schätzungen: 242.000 Arten im Global Biodiversity Assessment, 230.000 Arten nach Bouchet, 318.000 Arten nach Reaka-Kudla).

Wie viele verschiedene Pflanzen gibt es in Deutschland?

In Deutschland sind etwa 48.000 Tier-, 9.500 Pflanzen- und 14.400 Pilzarten beheimatet. Laut WWF kommen damit etwa vier Prozent der weltweit bekannten Tierarten in Deutschland vor.

Wie viele Pflanzen gibt es in Europa?

11.000 heimischen europäischen Pflanzenarten etwa 1.600 neue, nicht-europäische Arten dazugekommen. Dabei betrachteten die Forscher auch solche europäischen Pflanzen (immerhin ca. 1.700) die in einer Region Europas einheimisch und in einer anderen als eingeschleppt gelten.