Klar ist es nett, sich mit einem Glässchen Sekt in Stimmung zu bringen. Aber was passiert, wenn im Bett nichts mehr ohne Alkohol geht? Und was verpasst man da eigentlich? Ein Plädoyer für nüchternen Sex von Jessica Kuch 13.05.2014, 02:00 Uhr Pärchen, die schon länger zusammen sind, kennen das Problem: Mit der Zeit schleicht sich ein Dritter unter die Bettdecke und nervt gewaltig rum – der Alltag. Darum wird er vor dem Sex gerne mit zwei oder drei Gläsern Rotwein zum Schweigen gebracht. So kann er einen wenigstens nicht mehr daran erinnern, dass die Vorhänge gewaschen werden müssten. Oder dass die Steuererklärung fällig ist. Noch ein paar Umdrehungen mehr im Blut setzen den Alltag (und seine kleine, doofe Schwester, die Vernunft) dann richtig außer Gefecht. Gut für die Spontanität. Denn mal ehrlich: Würde irgendein Langzeitpaar nüchtern auf die Idee kommen, nach einer Party Sex im Treppenhaus zu haben? Doch ab wann wird so ein Ritual zur Routine?In meinem Bekanntenkreis – das ergab eine nicht repräsentative Umfrage – gehört es für die meisten fast schon zum Vorspiel, sich mit einem Gläschen Hochprozentigem zuzuprosten. Ein kleiner Schwips ist die perfekte Abkürzung, um in Stimmung zu kommen. Wer hat schon die Zeit, zwei Stunden lang beim Italiener zu sitzen, Händchen zu halten und sich vom Stehgeiger in romantische „Schatzi, also ich hätte jetzt Lust!“- Höhen fiedeln zu lassen? Eben. Doch ab wann wird so ein Ritual zur Routine, die man nicht mehr durchbrechen kann? Ab wann ist der Schwips nicht mehr sexy, sondern peinlich? Und was verpassen eigentlich all die Paare, die überhaupt nicht mehr nüchtern miteinander ins Bett gehen? Erst einmal die Fakten: Kleine Mengen Alkohol haben einen enthemmenden Effekt und steigern die Lust – allerdings sollte es bei kleinen Mengen (0,5 Gramm Alkohol pro Kilogramm Körpergewicht) bleiben. Danach wird die Aussprache nuschelig. Es treten leichte Störungen in der Koordination auf. Die Sexualität kann aggressiver und rücksichtsloser werden. Frauen und auch Männer haben in diesem Stadium Probleme, zum Höhepunkt zu kommen. Denn: Alkohol beginnt schon in niedrigen Dosierungen, dämpfend zu wirken. Wenn man zwar die Hemmungen verliert, aber die sexuelle Empfindlichkeit gleich mit, ist das ja nun auch nicht gerade Sinn der Sache. Und was ist mit den Gefühlen? Fragen wir einen Experten: „Am Anfang einer Beziehung, wenn wir den anderen umarmen und küssen, geraten wir in eine Art Rauschzustand“, erklärt der Berliner Buchautor und Psychotherapeut Dr. Wolfgang Krüger. „Allein durch die körperliche Spannung. Wir haben das Gefühl, innerlich abzuheben und zu schweben. Wir sind betrunken vor Glück.“ Whoa, das klingt toll, warum kann das nicht immer so sein? Laut Krüger liegt es daran, dass sich im Laufe einer Beziehung die Partner oft voneinander zurückziehen. „Sie kommen nicht mehr dazu, von dem anderen wirklich berührt zu sein. Sie brauchen den Alkohol, um sich anzunähern.“ Kuscheln statt CocktailsDabei hat nüchterner Sex doch so viele Vorteile: Er ist intensiver, weil die Sinne geschärft sind und schafft eine viel tiefere emotionale Verbindung. Und beide Partner können sich am nächsten Morgen ganz kopfschmerzfrei daran erinnern. Aber was soll man tun, wenn man es verlernt hat, ohne Hilfe von Prosecco & Co. zur Decke zu schweben? „Es muss eine Art Seelenberührung stattfinden, die man als aufregend empfindet. Das geht aber nur, wenn man sich mit Respekt begegnet und das Gefühl hat, gerne wieder zusammen zu sein“, rät Wolfgang Krüger. Da wären wir wieder beim Alltag. Der Blödmann muss einfach ausgetrickst werden, vielleicht mit einem spontanen Nachtspaziergang? Und danach gibt es Kuscheln statt Cocktails: „Sich ausziehen, langsam berühren und küssen. Das Paar sollte den Mut haben, sich auch ohne Hilfsmittel wirklich nahezukommen“, erklärt Krüger. „Das kann so spannend und erfüllend sein, dass man vor Glück zittert. Sogar nach 20 Jahren Partnerschaft.“ |