Was verschwindet wenn du ihren Namen ausspricht?

Ungewöhnliche Namen richtig auszusprechen - dafür gibt es noch kein großes Bewusstsein in Österreich. Manche Kinder verbringen deshalb sogar Jahre mit falschem Namen

Was verschwindet wenn du ihren Namen ausspricht?

Foto: STANDARD

„Eines Tages bin ich in eine vierte Klasse gekommen, wo ein Junge Lubisa gerufen wurde." Das kam Josefine K.*, Volksschullehrerin, gleich seltsam vor. Sie wusste nämlich: Der Name kommt aus Ex-Jugoslawien und kann nur Ljubiša heißen. Die perplexe Lehrerin forschte daraufhin nach – auch im offiziellen Register der Schule war der Name falsch eingetragen. Es stellte sich heraus, dass der Vor- und Nachname des Zehnjährigen vom serbischen Pass falsch auf den Meldezettel abgeschrieben wurden und dass der Junge sich einfach mit dem neuen Namen abgefunden hat.

Willkommen bei DER STANDARD

Sie entscheiden darüber, wie Sie unsere Inhalte nutzen wollen. Ihr Gerät erlaubt uns derzeit leider nicht, die entsprechenden Optionen anzuzeigen.

Bitte deaktivieren Sie sämtliche Hard- und Software-Komponenten, die in der Lage sind Teile unserer Website zu blockieren. Z.B. Browser-AddOns wie Adblocker oder auch netzwerktechnische Filter.

Zugegeben: Die Lösung des Rätsel ist nicht ganz einfach. Tatsächlich sind 25 Dreiecke im Bild zu finden. Die meisten können jedoch nur 24 sehen, der Trick ist, dass "A" in der Signatur des Künstlers als Dreieck mitzuzählen. Der Mathematiker Martin Silvertant wollte zur Lösung des Rätsels beitragen und erstellte diese Grafik, um alle Dreiecke aufzudecken. Eigentlich ganz einfach, oder?

Wie wir uns ansprechen und wie wir unsere Namen verwenden, zeigt die Distanz und Nähe zwischen uns. (Foto: colourbox.com)

Es war einmal ...

Die schöne Müllerstochter hat es nicht leicht. Zuerst bringt ihr Vater sie in eine heikle Situation und verspricht dem König, sie könne Heu zu Gold spinnen. In der Not hilft ihr zwar ein listiges Kerlchen. Doch das verlangt einen hohen Preis für seine Dienste. So muss sie zuletzt den Namen des Kerlchens herausfinden, damit die Geschichte gut für sie endet. Drei Tage lang sucht sie, bis sie den Namen gefunden hat: „Rumpelstilzchen!“ Vor Wut darüber, enttarnt zu sein, reißt sich das Kerlchen selbst mitten entzwei und versinkt in der Erde.

Rumpelstilzchen erzählt, dass wir Bedrohungen in den Griff bekommen können, wenn wir sie benennen und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.

„Ziemlich harter Tobak und sicherlich nicht ganz einfach zu deuten, zumindest was die einzelnen Charaktere betrifft“, kommentiert Hans-Martin Köbler das Märchen Rumpelstilzchen. „Die junge Müllerin wird mit Hilfe des Männchens von der braven Tochter zur tatkräftigen jungen Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt. Das ist ein wunderbarer Ausgang.“

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen ...“

Ganz viele Alltagsfragen sind heute immer noch mit Hilfe der guten, alten Märchen zu erklären. Im Falle des Namen-Sommergesprächs dient „Rumpelstilzchen“ als Ausgangspunkt für die Diskussion über die Bedeutung und Sinnhaftigkeit von Benennungen. „Das Märchen vom Rumpelstilzchen ist eins der spannendsten Märchen der Gebrüder Grimm“, meint Sabine Zaplin. „Aus der Perspektive des Rumpelstilzchens würde ich sagen: Es möchte seinen Namen nicht preisgeben. Als das Versteckspiel aus ist, tilgt es sich selber vollständig von der Erdoberfläche.“

Wir benennen, was wir sehen und erkennen. Damit schaffen wir die Grundlage dafür, miteinander in Kontakt zu kommen, miteinander zu reden und zu diskutieren. Das betrifft Alltagsgegenstände wie „Tisch“ und „Stuhl“, abstrakte Begriffe wie „Hunger“ und „Liebe“ genauso wie unsere Namen. „In der Bibel gibt es diese wunderbare Geschichte: Die Menschen sollen in Gottes Auftrag alles, was er geschaffen hat, mit Namen versehen. Das bedeutet, sie sollen sich die Dinge aneignen, sie sollen die Dinge kennenlernen. Sie sollen eine Beziehung zu allem aufbauen“, erklärt Susanne Breit-Keßler. „Man enttarnt jemanden und man erkennt ihn gleichzeitig, wenn man „die Dinge benennen kann“. In diesem Sinn ist das Männchen also enttarnt, sobald die Müllerstochter seinen Namen nennt.“

„Wunderbare Dimension für menschliche Beziehungen“

Diese „Enttarnung“ habe nichts Negatives an sich, sondern beinhalte noch eine andere wunderbare Dimension für menschliche Beziehungen, so Susanne Breit-Keßler. „Gott sagt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Das ist alles andere als besitzergreifend gemeint, sondern bedeutet lediglich: Du gehörst zu mir und ich gehöre zu dir. Wir gehören zusammen. Ich sehe dich, ich nehme dich wahr, ich kenne dich, ich weiß, wer du bist. Und ich möchte dich bei deinem Namen rufen.“

Jede Taufe schaffe diesen Zauber neu. „Noch bevor man zeigen muss, was in einem steckt und welche Fähigkeiten man besitzt, wird man in der Taufe als einmaliges, geliebtes Geschöpf angenommen“, sagt auch Hans-Martin Köbler. „Der Name ist unser Geschenk.“ „Dein Name ist im Himmel geschrieben“, so Susanne Breit-Keßler. Und Sabine Zaplin ergänzt: „Man ist sozusagen schon mal notiert und wird auf keinen Fall vergessen!“

Der Name ist ein Geschenk

Alle Eltern kennen die schwierige Suche nach dem passenden Namen für den Nachwuchs. Mit Hinweis auf den kleinen Stammhalter? Dann bekommt der Sprössling möglicherweise den gleichen Namen wie Vater und Großvater. Wohlklingend und besonders gut passend zum Nachnamen? Oder vielleicht soll der Namen schon mal alle guten Wünsche und Erwartungen für das Kind in sich tragen? Egal wovon sich die Eltern leiten lassen, sie finden in unzähligen Namensratgeber, Lexika und Bedeutungsbücher genügend Anregungen. Zudem zeigen jährliche Hitlisten, wie die Babys heißen.

Liegt da nicht die Vermutung nahe, dass die Namensgebung immer auch dem Zeitgeist unterworfen ist? „Klar, Namen werden immer aus dem Kontext heraus gegeben“, so Bernhard Goodwin. Otto, Adolf, Kevin – jede Zeit und jedes Umfeld haben ihre Vorlieben. Zum Namen finden sich aber auch immer Abkürzungen, Kosenamen, Spitznamen. „Mein Vater hat zwei Rufnamen“, erzählt Bernhard Goodwin. „Als junger, erwachsener Mann hat er selbst festgelegt, welchen der Vornamen er weiterhin verwendet. Das war für ihn ein wichtiger Punkt der Emanzipation.“

Wichtige Identifikation

Zum eigenen Vornamen hat jeder der fünf Gesprächsteilnehmer eine enge Beziehung, kann die Bedeutung erklären und hat Geschichten dazu parat, wie die Eltern auf den Namen kamen, welche Verwechslungen es gab oder wie schrecklich ungeliebte Abkürzungen sein konnten. „Ich mochte es schon als ganz kleines Kind überhaupt nicht, dass man meinen Namen abkürzt“, erinnert sich Susanne Breit-Kessler.

Und Hans-Martin Köbler ergänzt: „Wenn es gefällt, wenn man sich identifizieren kann und man sich gut fühlt, dann sind Kürzel okay. Wenn nicht, dann sollte man sich wehren. Das muss jeder tun dürfen.“ „Ach, es gibt aber auch ganz nette Abkürzungen, die können viel Liebevolles enthalten“, wendet Bernhard Goodwin ein. „Darin sieht man sich wie in einem Spiegel wider. Das ist spannend. Das baut eine ganz eigene Beziehung auf und hat etwas Unverwechselbares.“

Auch die Müllerstochter hat eine besondere Beziehung zum Rumpelstilzchen aufgebaut, als sie seinen Namen nannte, wenn auch eine Unvorhersehbare. Wer verschwindet schon, wenn er gerufen wird? Im Gegenteil möchte jeder gesehen werden. Wie frustrierend ist es, wenn man brav in einer Klasse von 20 oder 30 Kindern sitzt und der Lehrer auch nach Monaten seinen Namen nicht kennt, sich dagegen an die der Störenfriede auf Anhieb erinnert?

"Es schafft Verbindung"

„Es gibt eben nichts Schöneres, als in einer Gesellschaft mit dem Namen angesprochen zu werden“, sagt Linda Oppermann. Als Chorleiterin oder in Projektgruppen stellt sie sich deshalb immer das Ziel, die Namen der Teilnehmer schnell zu lernen. „Ich bekomme viel zurück, wenn ich jeden mit seinem Namen anspreche. Das erfreut immer und schafft Verbindung.“ Übrigens drücken schon Kinder ihre besondere Beziehung zu ihrem Namen aus, meint Sabine Zaplin. „Es ist das erste Wort, was sie schreiben wollen und können. Auch das zeigt, wie stark wir uns mit dem Namen identifizieren.“

Änderungen vorbehalten?

Es gibt Wendepunkte im Leben, an denen man sich bewusst für einen ganz anderen Namen entscheidet. Man muss ja nicht gleich Papst werden oder in ein Kloster eintreten. Auch bei Heirat kann sich der Familiennamen ändern, die Zusammengehörigkeit wird nach außen deutlich sichtbar. „Das ist sehr symbolisch!“, sagt Susanne Breit-Keßler. „Eigentlich ist es unendlich schade, dass häufig der Namen behalten wird und die Familie nach außen überhaupt nicht mehr eindeutig zu erkennen ist.“

„Ja, aber alle kennen mich unter meinem Namen“, meint dazu Linda Oppermann. „Ich würde meinen Namen nicht aufgeben.“ Und Sabine Zaplin ergänzt: „An meinem Namen hängt eine ganze Familientradition. Die ist mir wichtig. In dieser Tradition habe ich auch veröffentlicht. Mein Mann und ich haben uns entschieden, dass wir unsere Namen behalten.“ Manche kämen mit leuchtenden Augen zum Traualtar und freuen sich auf einen gemeinsamen Familiennamen, andere ziehen dies nicht einmal in Betracht. „Es ist heute alles möglich“, so Hans-Martin Köbler. „Nur die Bindestrichnamen werden seltener.“

Bleibt noch die Frage, ob der Doktortitel zum Namen gehört. „Rechtlich auf jeden Fall“, meint Susanne Breit-Keßler. „Er drückt viel aus und gehört zur Identität dazu.“ Es gebe aber Ermessenspielräume, so Sabine Zaplin. „Viele Verlage schreiben prinzipiell keine Titel in ihren Texten.“

Förmliches Sie und vertrautes Du

Wir bezeugen also höchsten Respekt, wenn wir den anderen mit Namen ansprechen und ihn in seiner Einmaligkeit wahrnehmen. Soweit so gut. Aber wie genau sprechen wir unser Gegenüber an? Wann benutzen wir das distanzierte Sie und wann das vertrauliche Du? Gibt es eine Altersgrenze fürs Duzen? Und wer sollte überhaupt wem wann das Du anbieten? „Es gibt eine einfache Faustregel, die besagt: Ältere, Höherrangige und Frauen bieten das Du an. Ich habe also gute Karten“, sagt Susanne Breit-Keßler schmunzelnd.

Linda Oppermann plädiert für generelles Duzen. „Wie entspannt wäre das! Mir fällt das Abwägen schwer. Und auch in meinem Gegenüber bemerke ich oft einen Moment des Zögerns und der Verunsicherung, der nicht sein muss.“ Beim Musizieren bestehe sie sogar oft auf dem Du. „Da möchte ich keine Distanz. Die Gemeinsamkeit, die beim Musizieren entsteht, geht sonst schnell verloren.“ „Dabei ist der Unterschied zwischen Du und Sie befreiend!“, antwortet Susanne Breit-Keßler. „Ich finde es gut, dass ich weiß, mit wem ich mich duzen und siezen kann.“

Dem schließt sich Hans-Martin Köbler an: „Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Du und Sie können wir nutzen. Ich kann mit dem Sie Dinge sagen, die mir beim Du fast unmöglich wären. Die Distanz ist da. Das ermöglicht mir die Grenze im Kontakt.“ Allerdings bemerke er auch, dass er sich weniger Gedanken mache, je älter er werde. „Ich nehme es wie es ist.“

Locker bleiben!

Zwischen dem Form-Sie und dem Freunde-Du haben sich noch mehr Formen etabliert: das Parteien-Du, das Arbeits- und Seminar-Du, das hemdsärmliche Du aus E-Mail-Kontakten, das „Hamburger Sie“ als Kombination von Vornamen und Sie. „Ich glaube, dass das eine Frage der sich wandelnden Kommunikationsform ist. Die E-Mail-Kultur, Whatsapps und Twitter-News verlangen danach. Damit müssen wir umgehen“, denkt Sabine Zaplin. Nicht zu vergessen die Ikea-Geburtstagsgrüße, die sämtlich mit „Hey, Sabine!“ beginnen – „wie schrecklich!“

„Im Umgang innerhalb meiner Partei ist das Du gebräuchlich“, berichtet Bernhard Goodwin. „Dort bedeutet das: wir sind eine Arbeiterbewegung und stehen alle auf einer Stufe. Vor dem egalitären Gedanken finde ich ein Du schön. Das hat etwas mit gleicher Augenhöhe zu tun. Im Arbeitskontext habe ich mir als Vorgesetzter angewöhnt zu fragen, ob wir nicht zum kollegialen Du übergehen wollen. Am Ende kommt es immer darauf an, was wir mit der geschaffenen Vertrautheit machen. Der Respekt darf nicht verloren gehen.“

Ein Zeitkonflikt!

Dem kann Susanne Breit-Keßler voll und ganz zustimmen: „Es nötigt uns, Sensibilität an den Tag zu legen! Und das finde ich wunderbar. Man macht sich Gedanken über den Umgang miteinander. Man strengt sich an, um dem anderen gerecht zu werden. Und das brauchen wir doch viel mehr.“ Denn leider sei unsere Gesellschaft eine extrem respektlose geworden. „Und ein großes Stück weit auch distanzlos, leider. Was ist denn so schlecht daran, wieder mehr Distanz aufzubauen? Aus meiner Sicht ist Nähe auch sehr gut möglich, wenn ich jemanden sieze. Ich muss nicht gleich Du sagen. Für mich steht das Du immer am Ende eines langen, gemeinsamen Weges.“

Distanz habe per se nichts Negatives, meint Hans-Martin Köbler dazu. „Die Balance zwischen Nähe und Distanz auszutarieren, ist ein immerwährender Lernprozess. Man darf auch Gott duzen, obwohl der Allmächtige ganz fern und auch wieder nah ist.“

Es sei spannend, die Meinungen zu diesem Thema zu hören, so Linda Oppermann. „Daraus kann ich einiges mitnehmen. Es tut allgemein gut, sich nähere Gedanken dazu zu machen.“ „Wir kommen vor allem nicht aus der Kiste raus, dass es beides gibt“, bestätigt Hans-Martin Köbler. „Die Frage ist eben, ob man mit dem generellen Du nicht vieles unter den Teppich kehrt. Aber es ändert sich auch viel. Vor dreißig Jahren hätte mich mein Radio sicherlich nicht geduzt!“ Susanne Breit-Keßler: „Ich denke auch, dass wir hier eher mit einem Zeit-, als mit einem Generationenkonflikt konfrontiert sind.“

Eine märchenhafte Frage

Fliegender Teppich, Goldesel, Schneewittchens halber Apfel: Welchen ‚märchenhaften‘ Gegenstand würden Sie sich gerne einmal für einen Tag ausleihen? Unsere Gäste antworteten:

Susanne Breit-Keßler: "Mein Lieblingsmärchen ist das 'Vom Mädchen mit den Schwefelhölzern'. Die Hölzer möchte ich gern mitnehmen.  Sie bringen Licht und Wärme gegen die Kälte und zeigen uns eine Etappe auf dem Weg in die Ewigkeit."

Bernhard Goodwin: "Den Zauberspiegel von Schneewittchens Stiefmutter! In meiner aktuellen Situation ist ein ehrliches Feedback hilfreich. Ich kann manchmal nicht einschätzen, welches Lob ehrlich ist."

Hans-Martin Köbler: "Die goldene Kugel als Symbol der Ganzheit und der Vollkommenheit, als Moment des Glücks und der Gottesfülle."

Linda Oppermann: "Den Fliegenden Teppich. Fliegen ist schön und ich bin als Kind lange nicht darüber hinweggekommen, dass ich nicht fliegen kann."

Sabine Zaplin: "Das Tapfere Schneiderlein, weil er einfache Sachen einfach ausspricht und so gründlich missverstanden wird.  Das ist köstlich. Ich würde gern ausprobieren, was es damit auf sich hat."

Unsere Gäste

Bei unserem Sommergespräch diskutierten:

Susanne Breit-Keßler (ev.-luth. Regionalbischöfin)

Bernhard Goodwin (SPD-Bundestagskandidat und GF Institut für Kommunikationswissenschaft / LMU)

Hans-Martin Köbler (Pfarrer Himmelfahrtskirche Pasing)

Linda Oppermann (Abiturientin)

Sabine Zaplin (Kulturjournalistin und Autorin)

 

Was denken Sie?

Welche Meinung vertreten Sie? Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns: Münchner Wochenanzeiger, Redaktion, Fürstenrieder Str. 5-9, 80687 München, [email protected]. Wir veröffentlichen Ihren Standpunkt (nur mit Ihrem Namen).